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Gespeichert von Skynex am 19. März 2008 - 12:22
(letzte Aktualisierung: 2. Dezember 2015 - 18:21)

Vorwort:
Hier ist sie nun, meine erste Talon Geschichte.
Lange Zeit habe ich sie zurückgehalten, korrigieren und probelesen lassen, aber ich denke, es ist an der Zeit, sie zu teilen.

Der Text wird von mir, sofern ich das gebakcen bekomme, als Papierversion in die Schreibstube übergeben.
Die Lesbarkeit ist auf Papier deutlich besser, als hier über das Forum.

Besonderen Dank an Ruth und Max für das Lekturieren, sowie an Constantin, Sebastian, Simone und Jan von Krüdener für Probelesungen.

Der folgende Text ist reine Fiktion und hat keinen Zusammenhang mit Talon Cons oder Kampagnen, zufällige Übereinstimmungen mit Orten und Personen sind gewollt, es sind Tiere während des Schreibens dieser Geschichte zu Schaden gekommen.
Alle Ansichten entsprechen rein der Vorstellung des Autors und sind nicht zwingend Ansichten von Larpern, Rollenspielern oder Talon (besonders was Magie angeht).

Kommentare

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Missmutig rührte der alte Mann in seiner hölzernen Schüssel herum. Sein letztes Kupfer war in diese Mahlzeit geflossen und sie schmeckte scheußlich. Mit einem Ruck überwand er sich und kippte den Rest seinen Rachen hinunter. Die beiden möchtegern Krieger, die bei ihm an der Feuerstelle am Dorfplatz saßen, machten den Tag auch nicht angenehmer. Sie versuchten sich gegenseitig mit Prahlereien und Wundertaten zu übertrumpfen und fast schon hätte der Mann in der unscheinbaren, grauen Robe sich abgewandt, als einer der beiden von seinem heroischen Kampf gegen monströse Spinnenkreaturen angab.
„Ihr wart dabei, in Groeven, als die Brutmutter besiegt wurde?“ platzte es aus ihm heraus.
„Aber natürlich war ich dabei, ich selber habe die Bestie und mindestens die Hälfte ihrer Brut vernichtet!“ antwortete der Geck mit übertrieben stolz geschwellter Brust.
Hochnäsiger und dümmer konnte ein Mensch wohl kaum sein und als Antwort von dem Alten, den er nur geringschätzig ansah, erhielt er ein leises, trockenes Lachen.
„Was gibt es da zu lachen, alter Mann?“
Wut aus verletzter Eitelkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben und fast hätte man meinen können, die Hand zum Schwert zucken zu sehen.
„Verzeiht mir, edler Krieger, aber ich habe selber meine Erfahrungen mit Spinnenkreaturen sammeln können.“
Stumme Blicke durchbohrten ihn, als er seinen Hut abnahm, den Stab an die Bank lehnt und sich räusperte.
„Ich werde euch nun eine Geschichte erzählen, wie sie sich wirklich zugetragen hat und noch immer zuträgt. Nicht jede gewonnene Schlacht ist ein Sieg und nicht jedes Mal ist etwas das, was es zu sein scheint“ sprach der Alte prophetisch und düster.
Im Laufe des Tages würde seine Zuhörerschar wachsen, denn so weitab von allem war Unterhaltung, egal ob gute oder schlechte, selten und besser als der Trott des Alltages. Mit einem geheimnisvollen und zugleich wissenden Lächeln begann der Alte nun seine Erzählung.

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Es war eine dunkle, kalte Nacht. Durch das Prasseln des Regens vernahm man, wenn auch selten, das Knacken eines Feuers und das unruhige Scharren von Stiefeln auf Steinboden. Zitternd zog der Waldläufer seinen klammen Umhang noch enger um sich. Trotz des kleinen Feuers zitterte der Mann in seinem Unterschlupf, einer verfallenen Ruine unweit des Gebirgspasses zum Archonat. Wehmütig dachte er an das Holzfällerlager Groeven, welches er vor über einer Woche passiert hatte. Mittlerweile würden die ersten Hütten fertig sein und es gäbe warme und vor allem trockene Unterkunft. Nicht zum ersten Mal dachte der Waldläufer daran, wieder umzukehren.
Seit Tagen hockte er hier, beobachtete den Gebirgspass und schlug sich die Nächte um die Ohren. Nicht, dass er nicht schlafen wollte, er konnte nicht. Vor zwei Tagen waren die Patrouillen des Archonats gekommen und durchkämmten unermüdlich den Wald. Untote und totmüde, ein Lächeln zuckte über das blasse Gesicht des Menschen bei dem Gedanken. Ob sie ihn suchten? Normalerweise verließen die Archonatstruppen ihr Gebiet hinter dem Gebirge nur, wenn sie wieder einen Angriff auf Talon durchführen wollten. Und dann war da noch dieses Klicken. Immer, wenn er kurz davor war, einzuschlafen, vermeinte er im Augenwinkel Bewegungen zu sehen, klickende, rasselnde Geräusche oder gar Schritte zu hören.
Da war es wieder. Benommen schreckte der Mensch hoch. Entweder wurde er wahnsinnig und bildete sich all dies nur ein, oder dort lauerte etwas, das nur darauf wartete, dass seine Beute einschlief. Ein Knarren ließ ihn aufhorchen. Obwohl das Dach schon längst verfallen war, gab es noch einige Überreste des Holzbodens eines weiteren Stockwerks. Und dort, genau über ihm, knarrte nun eine der verwitterten Bohlen. Schnell war die Schließe des Umhangs geöffnet, mit einer fließenden Bewegung das Kurzschwert gezogen und flink eilte der Waldläufer durch die Trümmer zur Treppe. Vorsichtig riskierte er einen Blick über den Rand auf die Reste des oberen Stockwerks und sah… nichts.
Während die Regentropfen auf seinen Lederhut prasselten, verfluchte er sich innerlich für seine Schreckhaftigkeit. Wie hätte auch jemand die Treppe hochsteigen können, ohne dass er es gesehen hätte. Und von Außen, die Mühe wäre vergeblich und unnötig gewesen, kein Mensch würde das bei der Nässe schaffen. Als er bei seinem Lager eintraf, gab das Feuer ein letztes Mal ein zuckendes bisschen Licht und Wärme ab und erlosch kurzerhand. Verflucht. Dieser Ort ist verflucht. Grimmig warf der Waldläufer sich seinen Umhang um die Schulter und machte sich auf in die Dunkelheit. Er konnte genauso gut eine Höhle, oder einen anderen Unterschlupf suchen. Er hatte die Höhlen bisher gemieden, da er als Suchtrupp normalerweise als erstes dort nach dem suchen würde, was auch immer er suchen würde. Aber vielleicht war das Archonat entweder schon wieder weg, oder sie würden gar nicht mehr dorthin kommen. So oder so, ein trockenes Lager, dass nicht von irgendwelchen Geistern heimgesucht wurde, wäre dieses Risiko auf jeden Fall wert.
Obwohl er selbst als geübter Waldläufer in der Finsternis, die hier herrschte, kaum drei Schritt weit sehen konnte, empfand er doch ein Gefühl des Verfolgt Seins. Kopfschüttelnd machte er sich daran, den Weg zu einer der Höhlen einzuschlagen. Vielleicht waren die Geister ja langsamer als Menschen, oder verloren das Interesse, wenn er die Ruinen hinter sich ließ. Zu seinem Glück, zumindest hoffte er, dass es zu seinem Glück war, erstarb der Regen, die Wolkendecke brach auf und ein fahles Mondlicht breitete sich zwischen den Wipfeln aus. Doch das paranoide Gefühl der Verfolgung, kehrte immer wieder zurück. Trotz der nun besseren Sicht, war es ihm unmöglich, etwaige Verfolger auszumachen. Schneller als es ratsam wäre, eilte der Waldläufer durch das Unterholz und erreichte bald eine Höhle. Diese lag ein gutes Stück entfernt aller Wege, besonders von dem bewachten Gebirgspass. Vorsichtig glitt er gleich einem Schatten zwischen einigen herumliegenden Felsbrocken hindurch und betrat schlussendlich den Höhleneingang.
Nach wenigen Schritten hinein fiel ihm ein kaum wahrnehmbarer Duft auf. Leicht süßlich, gleichzeitig wild und auf eine unbestimmte Art gefährlich und verlockend zugleich. Halt, hatte sich die Dunkelheit vor ihm nicht gerade bewegt? Als ob etwas dunkleres selbst verborgen war, an der Grenze zwischen Licht und Dunkelheit, unfähig, weder das eine, noch das andere zu sein. Das Kollern eines Steines in seinem Rücken ließ bei ihm mit einem Schlag alle Nackenhaare aufrecht stehen. Ihm war doch jemand gefolgt und hatte ihm den Weg nach draußen abgeschnitten. In einer einzigen Bewegung drehte er sich um, duckte sich leicht in Kampfhaltung und nahm sein Kurzschwert zur Hand.
Doch in der Tür stand nicht einer, sondern gleich vier. Und sie gaben ein eigenartiges, gutturales Surren und Klicken von sich. Sie waren es die ganze Zeit gewesen, hatten ihn belauert und sich vor seinem geübten Blick verborgen gehalten. Welche Abscheulichkeiten des Archonats das auch sein sollten, er hoffte, lebend hier raus zu kommen, um über diese neue Gefahr berichten zu können. Aber die vier Gestalten kamen nicht näher, eher schien es, als wollten sie nur den Ausgang blockieren. Ein Scharren aus den Tiefen der Höhle, größer, dunkler und gefährlicher als alles, was er je vernommen hatte.
Dann schälte es sich aus den Schatten hervor. Trotz des nur fahlen Mondlichtes schien es ihm, als hätte er nie klarer sehen können. Und gleichzeitig wünschte er sich, es nicht zu können. Wie ein Alptraum, einer Schreckensvision gleich stand sie vor ihm. Sie ragte vor ihm auf, teils menschlich, teils insektenhaft. Ihr Kopf wirkte weiblich, ihr Körper war eingehüllt in eine chitinartige Haut oder Rüstung, aus dem Rücken ragten vier Arme, die an der Höhlendecke entlangstreiften. Ein leises, unheilvolles Knurren entkam ihrer Kehle und der Mensch wich ängstlich einen Schritt zurück. Ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei, der klang, als würde man Metall aufeinander reiben. Seine Wirkung verfehlte er nicht. Starr vor Schreck blieb der Mann stehen, unfähig, auch nur einen Muskeln zu bewegen.
Er sah ihn nicht kommen, aber den Schlag spürte er umso heftiger. Ein Stachel, dick wie sein Unterarm, hatte sich in seinen Bauch gebohrt und ein seltsames Gefühl der Taubheit breitete sich aus. Nein, er irrte sich. Er konnte noch fühlen, nur nicht mehr bewegen. Er fühlte, wie der Stachel in ihm zuckte und seinen Körper mit irgendwas voll pumpte, wie sich sein Inneres aufblähte und noch etwas zurückließ, dass nicht sein sollte, nicht sein durfte. Mit einem Ekel erregenden Geräusch zog sich der Stachel aus seinem Wanst und verschwand irgendwo in dem Spinnenwesen. Hände, die nicht menschlich waren, packten ihn, hoben ihn in die Horizontale und trugen ihn tiefer in die Höhle. Vorsichtiger als er erwartete, wurde er in einer Ecke abgelegt, Schatten, die dunkler waren als die Dunkelheit um ihn herum, kamen und gingen. Dann war es still und er war allein.
Nein, das war nicht richtig. In seiner Bauchhöhle rührte sich etwas. Schlagartig war er sich bewusst, dass er sterben würde, um einem bösen Wesen zum Wachstum zu verhelfen. Die seltsame Taubheit war immer noch da, er spürte jede Bewegung in sich, war aber selber zu keiner fähig. Das Schicksal hatte ihm einen langsamen, schmerzhaften und stillen Tod beschert...

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Wieder dieser Traum. Er wusste, dass er träumte, spürte den magischen Ursprung dieses Traumes. Wieder einen Schritt auf die Höhle zu, der starken Verheißung, der Versuchung folgend. Obwohl es sein Traum war, sein Traum sein sollte, kostete es ihn erhebliche Kraft, langsamer zu werden. „Ich bin ein Schwarzmagier des Archonats, Meister der Domäne der Beherrschung, niemand kontrolliert mich!“ schrie er zornig dem Schlund in der Felswand zu. Mit beinahe körperlicher Gewalt zwang er sich dazu, stehen zu bleiben und den Kopf vom Eingang der Höhle abzuwenden, um sich umzusehen.
Die Umgebung war auf eine eigenartige Weise verschwommen und starr. Als würde man in einem Bild stehen, oder gar ein Teil davon sein. Je weiter sein Blick schweifte, desto undeutlicher wurde das Gelände. Als der Schemen, der er war, der Höhle jedoch den Rücken zuwandte und nach Westen blickte, erlebte er eine Überraschung. Entgegen des verschwommenen Bildes vorher sah er einen gestochen scharfen Korridor durch den Wald verlaufen. Es war, als ob der Künstler ein lebensechtes Bildnis schaffen wollte, sich aber an große Teile seines Umfelds nicht richtig erinnern konnte und diese Bereiche unscharf ließ.
Wiederwillig blickte er wieder in Richtung des Höhleneinganges. Er ahnte, an welcher Stelle sie liegen sollte, wenn er sein Umfeld richtig interpretierte. Wieder verspürte er den lockenden Ruf aus dem Inneren, das Versprechen, die Sünde, die Erfüllung all seiner Wünsche. Ein höhnisches Grinsen umspielte die Lippen des Schemens. Ohja, er war schon dort gewesen, er hatte Wunder gesehen und Dinge, die er sich wünschte. Aber er sah auch die feinen Unterschiede, spürte die Andersartigkeit dieser scheinbaren Erfüllungen. Und er erkannte einen Köder, auch wenn die Falle unsichtbar blieb.
Gerade, als er sich wieder abwenden wollte, tauchte jemand im Höhleneingang auf. Gebannt starrte der Schwarzmagier die Frau an. Das war unmöglich, sie war Tot. Wie konnte sie… ein Köder! Zornig hielt er im Schritt inne, erbost darüber, unbewusst erneut auf die Höhle zugegangen zu sein. Grimmig sammelte er seine Kräfte, bereit, sie zusammen mit seinem Zorn auf die Umgebung loszulassen. Es war ein Traum, SEIN Traum. Auch ein schlechter Kampfmagier wie er sollte hier einiges an Zerstörung anrichten können. Doch dazu kam es nicht. Ein Schrei wie aneinander reibendes Metall explodierte in seinem Kopf und sein Körper, seine Kraft erstarrte.
Überrascht riss er die Augen auf und wurde der Dunkelheit gewahr. Ihm wurde bewusst, wach zu sein, aber mehr als die Augen zu bewegen war nicht möglich. Obwohl es nur ein Traum war, hatte ihn dieser verfluchte Schrei bis in die Wirklichkeit verfolgt und betäubt. Kein Finger rührte sich und seine Gedanken waren nicht in der Lage Magie zu formen. So blieb er stumm liegen, bis die ersten Sonnenstrahlen in sein Gemach krochen und ein sanftes Kribbeln seine Finger weckte.
Und dann, mit einem Schlag, fiel die Herrschaft über seinen Körper wieder ihm zu. Mit einem Satz sprang der Mann von seinem Lager auf, warf sich eine purpur-goldene Robe über und brüllte kräftig nach seinem Adepten Trontheim und als hätte dieser nur darauf gewartet, schwang nur wenige Herzschläge später die Tür zur Kammer auf.
„Ihr habt gerufen, Meister Maxwell?“
„Bring mir eine Karte über das Grenzgebiet des Archonats. Oh und Kaffee, viel Kaffee.“
Mit einer Verbeugung verschwand der blonde Adept wieder rückwärts durch die Tür.
Was auch immer in dieser Höhle war, wenn es alleine durch einen Traum bereits solch eine Wirkung entfalten konnte, so musste er es haben. Rasch suchte Maxwell sich seine Reisekluft aus festen Stiefeln und einer robusteren Robe zusammen, bevor er seine Kammer verließ und in sein Empfangszimmer schritt. Dort fand er bereits eine tönerne Karaffe mit heißem Kaffee vor und noch während er sich gierig die zweite Tasse in den Hals kippte, hatte er sich bereits eine Liste im Kopf gemacht, was zu tun sei. Zuerst begab er sich in seine Meditationskammer, durch ihre Bauweise begünstigt, konnte er seine ohnehin feinen Sinne besser bündeln, um seinen Körper nach etwaigen Resten von allem Fremden, was er sich diese Nacht eingefangen haben konnte, zu durchsuchen.
Erst gegen Mittag war der Schwarzmagier geneigt, seinen Körper und die nähere Umgebung als sauber anzuerkennen. Beim Verlassen des Raumes wurde er bereits von Trontheim erwartet. Dieser übergab das am Morgen geforderte Kartenmaterial und wurde sogleich mit dem Auftrag weitergeschickt, das Mittagsmahl zuzubereiten.
Mit der Karte in der Hand begab sich Meister Maxwell nun in den Keller seines Zikkurat, wo sein Arbeitszimmer untergebracht war. Einige Magier bevorzugten hohe Türme, andere jedoch, wie er selber, arbeiteten lieber von Fels umgeben. Das Arbeitszimmer stand größtenteils leer, als Meister der Domäne der Beherrschung gab es nicht viel, was man an solch einem Ort unterbringen konnte und ein fähiger Erbauer von Missgestalteten war er auch nicht. Seine einzigen beiden Missgestalteten, die er besaß, sie waren Teil einer Prüfung zur schwarzen Magie, waren selbst zusammengenommen dümmer als Brot und fristeten ihr Dasein in irgendeinem Schrank.
Bei dem Gedanken an Brot wurde ihm bewusst, dass seine letzte Mahlzeit bereits ein wenig zurücklag und das Mittagsmahl sicherlich noch ein wenig Zeit in Anspruch nehmen würde. Mit angemessener Ruhe verschloss Maxwell die dicke Tür zum Arbeitszimmer, begab sich an einen der Schränke und schloss diesen auf. Gierig griff er in einen der Körbe und fischte ein mit Zucker glasiertes Hörnchen daraus hervor. Die meisten Schwarzmagier pflegten irgendwelche Laster, wenn auch einige nur, um ihre Bösartigkeit zu demonstrieren. Er hingegen liebte süßes Gebäck und hatte an vielen Orten welches gelagert, um immer Zugriff darauf zu haben.
Kauend lehnte er sich nun auf einem Stuhl zurück, legte die Füße auf dem Arbeitstisch hoch und entrollte eine der Karten. Die Zufälligkeit, mit der er wohl die richtige Karte ausgewählt hatte, wäre ja noch tolerierbar gewesen, aber die Gewissheit, dass der Punkt, den er als Erstes betrachtete, exakt die Position der Höhle sein musste, machte ihn stutzig. Schnell markierte er die Stelle und begab sich dann auf magische Weise wieder in sich selber. Konzentriert durchstöberte Maxwell seine Gedanken, ging über zu den Erinnerungen und wurde fündig. Magisch geprägte Erinnerungen. Zu seinem Unmut waren es gut konzipierte Prägungen, die erst bei bestimmten Sinneseindrücken ausgelöst wurden.
Vorsichtig begann er, eine nach der anderen zu extrahieren. Die Prägungen begannen sich als blau leuchtende Plaketten vor ihm auf dem Arbeitstisch zu sammeln und als er sich sicher war, alle entfernt zu haben, ließ er diese in einen metallenen Koffer gleiten. Vielleicht waren sie ja noch nützlich, oder konnten als Forschungsobjekt herhalten. Spätestens nachdem der Koffer vom Arbeitstisch verschwand, war er überzeugt, alle Erinnerungen gelöscht zu haben. Die Karte war ihm unbekannt und die Markierung war scheinbar völlig willkürlich gesetzt. Es war nicht einmal eine weite Strecke, die Markierung lag knapp außerhalb des Gebirges.
Er musste haben, was auch immer dort war. Maxwell rappelte sich auf, machte sich in Gedanken erneut eine Liste und erweiterte diese um Reiseproviant und seine beiden Missgestalteten. Und Trontheim. Es war immer gut, jemanden dabei zu haben, den man vorschicken konnte. So passierte einem selber weniger. Maxwell fand Trontheim dabei vor, den Tisch für das Mahl seines Meisters zu decken. Schnell diktierte der Meister seinem Adepten die Liste der zu besorgenden Dinge und verlegte den Abreisetermin vom morgigen Tag auf den heutigen Nachmittag. Er wollte dem Objekt seiner Begierde nicht erneut eine Nacht versuchen lassen, ihn zu überrumpeln oder gar zu korrumpieren.
Nachdem Trontheim verschwunden war, prüfte Maxwell erst mit kritischem Blick sein Essen und daraufhin mit magischen Mitteln. Nur weil man ein Meister Schwarzmagier war, bedeutete das nicht, dass man noch böse Überraschungen erleben konnte. So wie die Unterarchons keine Gelegenheit ausließen, sich gegenseitig zu überbieten, auszustechen oder schlimmeres, so verhielten sich auch die Schwarzmagier untereinander. Da die Mahlzeit unbedenklich schien, schlang er sie schnell hinunter und machte sich daran, persönliche Vorbereitungen zu treffen.
Nachdem seine Umhängetasche mit Tränken, Naschwerk, Talismanen und allerlei Krimskrams gefüllt war, schritt er zum Eingangsbereich des Zikkurat. Einem Schrank entnahm er seinen Wanderstab und aus dem anderen befreite er seine Missgestalteten. Die beiden hatten ein wenig Staub angesetzt, waren aber offensichtlich noch brauchbar. Kaum war das Trio vor dem Gebäude angekommen, versiegelte Maxwell den Eingang und wandte sich dem Karren zu, der soeben von Trontheim fertig beladen wurde. Nach einem kurzen, prüfenden Blick schob der Schwarzmagier seinen Koffer mit den Plaketten, die Tasche und schlussendlich sich selber auf die Ladefläche. Stumm reichte er dem Adepten, der mittlerweile auf dem Kutschbock platz genommen hatte, die Karte mit der Markierung und kurz darauf setze sich das Gefährt in Bewegung. Zufrieden besah sich Maxwell die beiden Gestalten, die hinter ihm und dem Wagen herwatschelten. Es war schön, Schwarzmagier zu sein.

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Am Morgen des zweiten Tages hatte der Wagen den Gebirgspass endlich hinter sich gebracht. Meister und Adept hielten sich mittels erfrischenden Magieschüben vom Schlaf fern und durchfluteten manchmal selbst das Pferd, um möglichst schnell ihr Ziel zu erreichen. Und je näher sie kamen, desto öfter gelang es Maxwell, das magische Tasten aus der Höhle zu erfassen. Es war erstaunlich, dass er dies bereits über die große Entfernung im Schlaf bemerkt hatte, aber da er nun wusste, wonach er suchen musste, konnte er die Wirkungsweise sogar beobachten. Sein Verdacht, es handelt sich um einen Köder, sah er wieder einmal bestätigt. Mindestens dreimal konnte er beobachten, wie der magische Finger, wie er es am ehesten beschreiben würde, ein tierisches Leben fand, es mental packte, verführte und in die Höhle lockte. Keines der Tiere kam daraus wieder hervor und irgendwie gelang es ihm auch nicht, einen Blick auf magische Weise in die Höhle werfen zu können.
Nur einen Steinwurf entfernt passierten sie eine Ansammlung von Ruinen, als Trontheim den Wagen zum Stehen brachte.
„Warum halten wir?“ fragte der Magier ungehalten.
„Wir befinden uns parallel zu der Markierung auf der Straße, Meister. Anscheinend gibt es aber keinen Weg durch diese Bäume für den Wagen.“
„Dann schaff uns einen, Manipulation war doch dein erstes Fachgebiet, setz dein Wissen ein.“
Der Wagen knirschte, als Trontheim vom Kutschbock absprang und sich dem Wegesrand näherte. Maxwell richtete sich auf der Ladefläche auf und setzte sich so hin, dass er den Jungen bei seiner Magie beobachten konnte. Einige Schwarzmagier wie Maxwell und Trontheim besaßen auf mehreren Gebieten ausgeprägte Fähigkeiten. Während Maxwell arkane Analyse und Beherrschungsmagie meisterlich ausführte, war Trontheim mit seinen bisherigen Kenntnissen der Manipulation nun dabei, seine Beherrschungskünste zu verfeinern.
Trotz aller Vertrautheit, die zwischen Meistern und Schülern herrschte, herrschen sollte, war es immer von Vorteil, zu wissen was der jeweils andere Wirklich konnte. Niemand gab seine Geheimnisse und wahren Kräfte gerne potentiellen Konkurrenten preis, schon gar nicht Schwarzmagier und insbesondere keine Archonaten.
Manipulation war eine verwandte Schule der Kampfmagie, aber wo ein Kampfmagier nur seine nächste Umgebung, zumeist an seinen Händen, so stark veränderte, das er Windstöße oder Feuerbälle entstehen lasse konnte, war ein vollendeter Meister der Domäne der Manipulation in der Lage, beinahe alles, was er zwischen die Finger bekam, nach seinem Willen zu formen. Und die folgende Demonstration war nicht zu verachten. Trontheim legte seine Rechte an einen Baumstamm, flüsterte konzentriert einige Worte und Maxwell verspürte den magischen Stoß durch den Stamm jagen, ja, er sah sogar, wie der Baum durch die Schockwellen zu vibrieren begann. Dann begann der Baum sich zu verbiegen, nein, eher zu verflüssigen. Kurze Zeit darauf schmolz er zusammen und hinterließ eine schwarze, glatte Fläche auf dem Waldboden. Während Trontheim über diese hinüberging zu seinem nächsten Opfer, war der hölzerne Klang des neu geschaffenen Untergrunds unverkennbar. Zufrieden lehnte der Schwarzmagier sich zurück und beobachtete seine stummen Missgestalteten hinter dem Wagen. Eine Idee schoss ihm durch den Kopf und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Es war Zeit, auch mal wieder etwas zu manipulieren.

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Maxwell verstaute soeben den Koffer wieder auf der Ladefläche, als er zwei Dinge verspürte. Zum einen kam Trontheim zurück, der anscheinend den Weg fertiggestellt hatte, zum anderen das tastende Ding aus der Höhle, welches seinen manipulierten Missgestalteten erfasste. Da seine Kontrolle über das Wesen stärker war als die hohlen Verlockungen der implantierten Erinnerungen, war es ihm ein leichtes, seine Kreatur gezielt dem Lockruf folgen zu lassen. Kaum hatte sich der Meister auf den Karren geschwungen, gab er seinem Adepten die Anweisung, dem Missgestalteten Wesen zu folgen. Und als er den Blick nach vorne richtete, konnte er in einiger Entfernung bereits die Höhle hinter der Schneise ausmachen, wie sie dunkel und unheilvoll im nackten Fels lag.
Maxwell konzentrierte sich nun vollkommen auf den manipulierten Missgestalteten, der Verlockung und ihrem Ursprung. Merkwürdigerweise gelang es ihm nicht, hinter den Höhleneingang zu blicken, als würde irgendwas seine Wahrnehmungen blockieren. Dennoch ließ er seine Kreatur weiter auf die Höhle zumarschieren, jedoch blockierte nach der Waldgrenze eine Unmenge Geröll verschiedener Größe den Weg für den Karren. Der Magier ließ seinen Missgestalteten halt machen und schwang sich vom Wagen hinab.
„Soll ich hier beim Pferd Wache halten, Herr? Wegen der wilden Tiere“ fragte Trontheim unterwürfig. Maxwell hegte zwar eher den Verdacht, dass sich sein Adept im Angesicht dieser unbekannten Magie unwohl und ängstlich fühlte, wollte diesem aber keineswegs mit Ausflüchten davonkommen lassen.
„Das wird nicht nötig sein, oder hast du in letzter Zeit irgendein Tier gesehen oder überhaupt gehört?“
Man konnte dem jungen Mann ansehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Tatsächlich war es schon länger ungewöhnlich still gewesen und selbst jetzt noch war nicht einmal das Zwitschern eines der Waldvögel zu hören. Als wäre die Tierwelt in der näheren Umgebung ausgestorben. Und vielleicht war sie das sogar, fügte Maxwell in Gedanken düster hinzu. Nachdem das Pferd angepflockt war, machten die vier Gestalten sich auf, die Höhle zu erkunden, doch kaum überschritten sie die Schwelle zum Höhleninneren, keuchten die beiden magisch Begabten überrascht auf. Wo vorher kein Blick in die Höhle möglich war, schien es nun umgekehrt zu sein. Ein starkes, magisches Pulsieren war zu spüren, dafür lag die Außenwelt wie abgeschnitten hinter ihnen, sichtbar nur, nicht magisch ertastbar.
Beinahe zeitgleich entzündeten die Magier luminiszierende Kugeln um sich herum, um der Quelle dieser plötzlichen Abgeschiedenheit auf den Grund zu gehen. Das erste, das Maxwell auffiel war ein eigenartiger, brauner Sand unter seinen Stiefeln. Er beugte sich vor und zerrieb ein wenig dieses Materials zwischen seinen behandschuhten Fingern. Das Gefühl war eher Papyrus gleich, denn dem von Stein. Während seine Finger durch den Untergrund strichen fand er auch Haare, Knochensplitter und andere tierische Überreste, aber allesamt von einer Trockenheit, die nicht natürlich sein konnte.
„Meister, hier ist Eisen im Fels.“
Maxwell schreckte aus seinen Gedanken hoch und sah zu seinem Adepten rüber. Das verräterische Glitzern in der Felswand bestätigte die Aussage des Adepten. Daher war es ihm nicht gelungen, in die Höhle zu blicken. Sobald er alles Wichtige aus der Höhle entfernt hätte, konnte er immer noch dieses Vorkommen bei der Unterarchontin melden. Er ließ den Missgestalteten weiter dem vorgegebenen Weg folgen, jedoch kam die Decke immer weiter hinunter und bald schon zogen sie allesamt die Köpfe ein. Oder vielleicht wurde auch nur der Sand so hoch, überlegte der Meistermagier.
Dann verspürte er eine Veränderung in seiner kontrollierten Kreatur. Augenblicklich stoppte er deren Bewegung und besah sich auf arkanem Wege das Gedächtnis. Wie er vermutet hatte, war die geprägte Erinnerung über den Weg verloschen, dafür hatte sich eine andere geöffnet. Und diese sagte aus, er solle seine Erfüllung in Händen halten. Die Stirn kraus gezogen zog sich Maxwell aus der Kreatur zurück und erweiterte den Leuchtradius seiner Kugel. Am anderen Ende der Kammer riss der Schein eine vage humanoide Form aus der Dunkelheit. Neugierig trat der Schwarzmagier näher und betrachtete den Kadaver.
Der Steinsockel, auf dem der Körper ruhte, schien nur wenige fingerbreit über dem Sand zu liegen und Maxwell fragte sich, woher dieser Sand kam und warum er sich gerade hier so auftürmte. In der Rechten hielt der Mensch noch immer eine kurze Klingenwaffe gepackt, die noch nicht so aussah, als würde sie so alt sein, wie der Körper selber. Dieser war ebenfalls ausgetrocknet und schien unheimlich zerbrechlich. Die Augenhöhlen lagen schwarz und leer im Schädel, der Mund schien zu einem ewig währenden, stummen Schrei aufgerissen zu sein. Das Interessanteste jedoch war der Torso. Dieser nämlich schien über die gesamte vordere Länge aufgesprengt worden zu sein und Anstelle der üblichen Innereien befand sich dort ein tiefgrüner Kristall und durch das Licht konnte man viele kleine weiße Schemen und einen fast schädelgroßen schwarzen Klumpen im Inneren schwimmen sehen.
Noch während Maxwell den unförmigen Kristall begutachtete, spürte er im Hinterkopf das Ziehen an seiner missgestalteten Kreatur. Er trat einige Schritte zurück und verband sich mit dem Geist der Kreatur, oder vielmehr mit dem, was die Körperteile für seine Kontrolle empfänglich machte. Daraufhin wies er sie an, den geprägten Erinnerungen zu folgen und betrachtete das Geschehen aus der Wahrnehmung des Missgestalteten. Das untote Ding schlurfte auf den Kadaver mit dem Kristall zu, kniete sich davor nieder und griff danach. Nichts geschah.
Maxwell verspürte, wie eine andere Erinnerung, er würde es mittlerweile eher Protokoll nennen, da es sich ja beinahe um eine vorgeschriebene, situationsbedingte Kontrolle handelte, aufkam und die Erste ergänzte. Interessiert verfolgte der Schwarzmagier, wie die Kreatur die Handschuhe ablegte und wieder nach dem Kristall griff. Auch wenn er in der Lage war durch seine magische Verbindung zu sehen, was nun geschah, half ihm das wenig, mit dem Schmerz und dem Verlust fertig zu werden, der beinahe augenblicklich begann. Das magische Pulsieren des Kristalls schoss durch den Arm der Kreatur hinauf und hatte binnen eines Herzschlages dessen Körper in eine finstere Aura eingeschlossen. Doch damit nicht genug, diese war im nächsten Herzschlag über die geistige Verbindung auf Maxwell übergesprungen und hüllte nun auch ihn ein. Es war, als würde er aus seinem Körper hinausgerissen, er stand zwischen seinem weltlichen Körper, der sich vor Schmerz krümmte und zu Boden sackte und dem Kristall, der sein astrales Selbst in sich zu saugen drohte.
Mit beinahe präziser Nüchternheit stellte er fest, dass seine Kreatur mit rasender Geschwindigkeit auszutrocknen schien. Aber er sah mehr. Der Körper wurde aufgelöst, die Lebenskraft ging auf den Kristall über und durch die geistige Verbindung… das war es, die Verbindung. Das Ganze konnte keine drei Herzschläge gedauert haben, als der Schwarzmagier die Verbindung zu seiner untergebenen Kreatur gänzlich kappte. Der Rückstoß, als sein Körper sein astrales Bild, oder vielmehr seine Seele, wieder einfing, schleuderte den ohnehin gepeinigten Körper quer durch die Kammer. Er sah nicht mehr, wie der Körper des Missgestalteten sich gänzlich auflöste und neben der Kleidung nur braune Reste übrig blieben, die sich zu dem Sand gesellten, der einst das nahe gelegene Tierreich war. Trotz des kurzen Kontakts war der Schwarzmagier ausgemergelt, er verspürte einen Hunger und Durst wie nie zuvor und sein Körper fühlte sich alt an. Noch sah er es nicht, aber sein Gesicht war eingefallen, das Haar wurde von grauen Strähnen durchzogen und sein Gewicht hatte sich mehr als halbiert.
Durch einen grauen Schleier, halb aus Blindheit und halb aus purer Agonie bestehend, bekam er nur am Rande mit, wie kräftige Hände ihn packten und langsam aber sicher von dem bösartig pulsierenden Kristall entfernten. Dann wurde es ganz dunkel.
Maxwell erwachte einige Zeit später außerhalb der Höhle an einen Felsbrocken gelehnt. Sein Hals fühlte sich ausgedörrt an und jemand betupfte seinen spröden Lippen mit einem feuchten Tuch. Das Einzige, was er von sich geben konnte, war ein gequältes Röcheln und Trontheim bedeutete ihm, ruhig zu bleiben. Resigniert lehnte sich der Schwarzmagier zurück gegen den schattigen Fels und ging die letzten Ereignisse noch mal durch. Dieser verfluchte Kristall. Er hatte die ganze Zeit gewusst, dass sich in der Höhle eine Falle befand und er war trotzdem beinahe hinein getappt. Behutsam tastete er mit seinen magischen Sinnen die Umgebung ab. Nicht weit entfernt von seinem Adepten fand er den verbliebenen Missgestalteten und er streckte seine Wahrnehmung weiter aus.
Überrascht keuchte der geschwächte Mann auf, als er plötzlich bemerkte, dass er seine Sinne in die Höhle lenken konnte. Etwas Vertrautes hatte sich zu der Magie des Kristalls gesellt, dem er mühelos folgen konnte. Dann fand er den Kristall selber. Selbst dort war die Aura der Vertrautheit vorhanden. Vorsichtig stupste er die Magie des Kristalls an, doch nichts geschah, eine feindliche Reaktion blieb aus. Mutiger berührten seine Sinne diesen nun fordernder und er brachte die Aura des Kristalls dazu, kurz aufzuflackern. Aber ein Angriff blieb aus. Neugieriger nun besah er sich das Innere des Kristalls und fand den Grund für die Vertrautheit.
Der Angriff hatte nicht nur seinen Missgestalteten absorbiert, sondern dessen magische Kontrolle durch Maxwell irgendwie auf den Kristall, oder vielmehr auf den schwarzen Klumpen übertragen. Leider war der Kontrollpunkt kein fester Knoten, wie es sein musste, sondern im ganzen Körper verstreut anzutreffen. Obwohl es dem Schwarzmagier somit keine Kontrolle gewährte, schien es doch so, als würde der Kristall ihn nun als Teil seiner selbst anerkennen und nicht anzugreifen. Wenn es ihm gelang, die verstreuten Teile wieder zu einem Kontrollknoten zu verbinden... welch eine mächtige Waffe konnte dieser Kristall abgeben, der allein über gedankliche Verbindung Leben aussaugen konnte. Und vielleicht war dies ein Weg zur Unsterblichkeit.
Ein Traum, von dem er nicht dachte, ihn zu träumen, schien in greifbare Nähe gerückt.
Eilig unterwies er seinen Missgestalteten, den Kristall mithilfe einiger Decken einzuwickeln und zu bergen. Trontheim hingegen sollte den Karren bereithalten und nach der Bergung mit ihm und seiner Fracht so schnell es gehen würde zurück ins Archonat fahren.

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Es gab nur wenige, vertrauenswürdige Heiler im Archonat und die, die man aufsuchte, bezahlte man besser schnell und gut. Maxwell schob seinen Zustand auf ein missglücktes Experiment, was dem Heiler nur ein müdes Schulterzucken abrang. Solche Fälle gab es oft zu behandeln und nicht selten war man unfreiwillig Teil eines Experimentes anderer geworden, was mit ein Grund war, dass Maxwell schon früh anfing, nicht alles anzufassen und wenn, dann trug er stets Handschuhe. Schon so mancher junger Schwarzmagier beendete seine Karriere frühzeitig in einem Krater.
Nachdem der Heiler seine Entlohnung, inklusive eines kleinen Schweigegeldes, eingestrichen hatte, begann er mit seiner Untersuchung. Es dauerte nicht lange, bis er seinen Patienten darüber aufklären konnte, einen Teil seiner Lebenskraft verloren zu haben. Die Schäden an seinem Körper waren permanent, seine magische Begabung jedoch anscheinend unberührt geblieben. Nach einigen Tipps und Hinweisen zur Empfindlichkeit altersgebrechlicher Körper erhielt Maxwell noch einige Salben, Tinkturen und diverser Mittelchen, um seinen Körper wieder einigermaßen aufzupeppen. Schwer auf seinen Stab gestützt verließ er den Heiler und machte sich auf den Weg zu seinem Zikkurat, um den Kristall nun eingehender untersuchen zu können.
Zurück in seiner Unterkunft, überlegte es sich der Gepeinigte jedoch noch einmal und begab sich erst in sein Schlafgemach, um dort einige der Salben auszuprobieren. Erfreut konnte Maxwell feststellen, dass die Gelenk- und Gliederschmerzen schlagartig verstummten. Er würde dem Heiler sicherlich noch eine weitere Bezahlung zukommen lassen müssen, wenn der Effekt wieder abklingen und die Salben sich dem Ende zuneigen würden.
Leichtfüßiger als zuvor machte er sich nun auf in sein Arbeitszimmer, fischte sich jedoch zuvor aus seinen Verstecken die beiden verbliebenden Schokobrötchen heraus. Seine Vorräte mussten dringendst aufgefüllt werden, nur hatte er leider Trontheim losgeschickt, ihm ein oder zwei Sklaven vom Hafenmarkt zu besorgen. Noch während er über die möglichen Folgen seiner Planung nachdachte, verstaute der Schwarzmagier die Brötchen in dem Versteck des Arbeitszimmers. Daraufhin beugte er sich beflissen über seine Notizen und überflog diese nochmals rasch, denn sein Gedächtnis hatte nach dem Unfall mit dem Kristall ebenso gelitten wie sein Körper. Seiner Planung nach würde heute eine magische Untersuchung des Kristalls und seiner eigenartigen Lebensformen im Inneren anstehen und obwohl Maxwell beinahe sicher war, keinen weiteren Angriff befürchten zu müssen, scheute er doch ein wenig davor zurück.
Auf dem Stuhl zurückgelehnt beobachtete er den Kristall, wie er inmitten des Raumes auf den Decken trohnte. Man konnte die magischen Fühler hin und herzucken spüren, wie sie die Umgebung abtasteten und besonders ihn immer wieder Beachtung schenkten. Es war, als versuchten sie etwas an ihm zu finden und er selber war nicht in der Lage herauszufinden was es war. Gelockt hatte der Kristall nichts mehr, vielleicht war dieser sich auch auf eine unbestimmte Art Bewusst. Es gab nur einen Weg, dies sicher zu stellen.
Maxwell schloss die Augen und sandte seinen Geist aus, ignorierte die arkanen Tentakel aus dem nun in seiner magischen Sicht pulsierenden Kristall und tauchte darin ein. Nachdem die grüne kristalline Schicht durchstoßen war fand er sich in einer dickflüssigen Umgebung wieder. Um sich herum zählte er etwa ein Dutzend daumengroßer Würmer, die träge um den großen, unförmigen schwarzen Klumpen trieben. Vorsichtig näherte er sich mit seinen Sinnen dem naheliegendsten und berührte ihn sachte. Der Wurm zuckte, sträubte sich und Maxwell fing ein Gefühl der Unsicherheit auf. Entweder war das Ding nicht auf solch eine Berührung vorbereitet, oder seine Präsenz durch den absorbierten Kontrollknoten des Missgestalteten musste wirklich vollständig wiederhergestellt werden, um seine Sicherheit und gegebenenfalls die volle Kontrolle über dies hier zu gewähren.
Gerade als er sich abwenden wollte, bemerkte Maxwell eine dünne, geistige Verbindung von der Made ausgehend. Sie war schwach, aber präsent und sie führte zu dem Klumpen. Neugierig geworden folgte er dem Strang. Der Klumpen war ohnehin bereits nur als undefinierbare Masse zu erkennen gewesen, doch aus magischer Sicht aus solcher Nähe, präsentierte sich ein wirbelndes Spektrum an Farben und Eindrücken. Es war überraschend, dass ihm dies nicht früher aufgefallen war, vielleicht lag hier aber auch eine Mimikry vor, eine Tarnung. Sein Geist verfolgte den Strang bis zu einem Knotenpunkt, von dem aus mehrere weitere abzweigten und vermutlich alle Maden mit dem Klumpen verbanden.
Nur einer der Stränge wich von allen anderen ab. Knapp unterhalb des Klumpens endete dieser in einem Teilstück der absorbierten Kontrolle durch den Missgestalteten. Konnte dies ein Punkt sein, seine Kontrolle anzusetzen? Maxwell berührte das Bruchstück und schrie innerlich auf, als eine Flut von Bildern, Gedanken, Protokollen und Sinneseindrücken auf ihn niederstürzten. Wie ein gebranntes Kind zuckte sein Geist zurück, weg von dem Knoten, dem Kristall, zurück in seinen Körper.
Stöhnend schlug der Schwarzmagier seine Augenlider auf, ein unmenschlicher Hunger schien von ihm Besitz ergriffen zu haben. Erschöpft griff er nach seinem letzten Gebäck, nur um es unverrichteter Dinge wieder abzulegen. Er hatte keinen Hunger, es war nicht sein Hunger. Ungläubig blickte er den Kristall an. Seine Anschauung als Waffe oder Mittel zur Unsterblichkeit rückten ab, weit ab. Dort vor ihm lag ein Ei, ein Lebewesen, eingehüllt in eine kristalline Schale, hungrig und dürstend nach Lebenskraft. Welches Wesen vermochte daraus zu entwachsen? Vampire pflegten nicht aus Eiern zu schlüpfen, also war es vermutlich eine magische Kreation, etwas Neuartiges, möglicherweise gefährlich, aber sicherlich äußerst wertvoll für das Archonat, wenn es kontrolliert werden könnte. Wenn er es kontrollieren wird, verbesserte Maxwell seine Gedanken.
Ursprünglich waren die Sklaven, die Trontheim besorgen sollte, für andere Dinge vorgesehen, aber Prioritäten konnten sich ändern. Mit einem boshaften Grinsen lehnte er sich zurück und erwartete geduldig die Rückkehr seines Adepten. Bis es soweit war, musste seine Kontrolle verstärkt werden und seine Gedanken schwirrten bereits umher.

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Es begann bereits die Abenddämmerung, als Trontheim mit dem Karren vor Maxwells Zikkurat eintraf. Genüsslich sah er dabei zu, wie die drei Menschen, die er auf den Namen seines Meisters kaufte, unbeholfen vom Karren stiegen. Die Schubserei des Missgestalteten, zu der Maxwell ihn gedanklich animierte, machte es nicht einfacher. Ungeduldig sah Trontheim zu, wie der mentale Sklave seines Meisters die Menschen in einen Zwinger sperrte, nur um sich darauf um das Pferd kümmern zu müssen. Der Adept verzog angewidert das Gesicht, solch niedere Arbeiten sollten nur von den geistig Schwachen durchgeführt werden. Wie er es hasste, solche Dinge ausführen zu müssen. Aber dies konnte bald der Vergangenheit angehören, er musste nur abwarten. Warten, bis der Kristall seine Geheimnisse preisgab. Danach musste er nur den in seinen Augen schwächlichen Schwarzmagier loswerden, um selber in die Riege der Herren aufzusteigen.
Trontheim schnaubte wütend, als die Kreatur sich vor ihm aufstellte, nachdem sie seine Befehle ausgeführt hatte. Die Kontrolle seines Lehrers zu imitieren war mittlerweile keine Schwierigkeit mehr, sodass er die Diener Maxwells mittlerweile nach seiner eigenen Pfeife tanzen lassen konnte. Nun denn, es war an der Zeit, sich zurück zu melden. Die Tür erkannte ihn und öffnete sich bereitwillig. Der Adept schlug zielstrebig den Weg ins Untergeschoss, zum Arbeitszimmer ein. Wo auch sonst könnte der Alte stecken.
Kräftig klopfte er nun an die schwere Tür des Arbeitszimmers. Dies geschah nicht aus Höflichkeit, sondern einfach aus dem Grund, dass viele Schwarzmagier ihre Umgebung mit Fallen und sonstigen bösen Überraschungen spickten für jene, die nicht willkommen waren. Unbewusst besah sich der blonde junge Mann seine Rechte Hand, die von einigen Brandnarben geziert wurde. Nicht jeder Türknauf, der sich drehen ließ, war auch dazu bestimmt, eine Tür zu öffnen. Dieser Spezielle hatte ihm damals die Hand stark verbrannt.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sich etwas im Arbeitszimmer tat und Trontheim hatte bereits erwogen, die Tür zu öffnen, oder zumindest dem Missgestalteten den Vortritt zu lassen. Als die Tür sich schließlich doch öffnete, bot sich ihm ein wildes Bild. Meister Maxwell hatte tiefe, dunkle Augenringe, sein Bart schien seit Tagen keine Klinge mehr gesehen zu haben und auf dem Arbeitstisch stapelten sich vollgeschriebene Bücher und leere Karaffen, in denen noch kalte Reste von Kaffee standen. Die magischen Reserven in seinem Körper befanden sich auf einem solch minimalen Niveau, dass der Adept noch nie bei ihm verspürt hatte. Offensichtlich war es dem Schwarzmagier gelungen, in die Geheimnisse dieser Waffe einzudringen und er hatte keinen Augenblick mit Schlaf verschwendet. Das Schicksal schien ihm, Trontheim, gnädig zu sein. Möglicherweise stand sein Aufstieg kurz bevor, doch musste er sich erst die Ergebnisse seines Meisters aneignen, ehe er diesen beseitigen konnte. Doch zuerst musste er seine Scharade weiter spielen.
„Meister, ich bin vom Hafen zurückgekehrt und habe euch wie gewünscht Sklaven mitgebracht.“
„Sklaven?“
Maxwell schien müde und abgelenkt zu sein. Es dauerte einige Momente, ehe seine Augen aufleuchteten.
„Sklaven, ja genau. Wie viele?“
„Drei Herr, zwei Männer und eine Frau. Alle kräftige Abenteurer, die in fernen Ländern auf unsere Schiffe gelockt werden konnten.“
„Bring sie her, sofort.“
„Sollen sie mit der Hausarbeit sofort beginnen?“
Trontheim war überrascht, dass der andere so schnell damit beginnen wollte, seine Sklaven einzuweisen.
„Natürlich nicht du Narr, ich muss etwas probieren. Und jetzt steh nicht im Weg rum, sondern beweg dich, oder muss ich alles selber machen?“
Der Adept schluckte seine Wut hinunter und machte sich auf den Weg. Am liebsten hätte er ja nun einen der gefesselten Menschen verprügelt, aber sein Verstand sagte ihm, dass es günstiger wäre, diese doch unversehrt in das Arbeitszimmer zu bringen. Die Tür stand glücklicherweise offen, sodass er die drei nur hindurchscheuchen musste. Typisch wie Abenteurer nun mal waren, sahen sie sich ungeniert um, schätzten Wertgegenstände ein und verschwendeten keinen Gedanken daran, was mit ihnen geschehen könnte. Trontheim verdreht die Augen, dummes Pack, als ob sie hier lebend und mit Beute rauskommen könnten.
Kaum durchschritt er selber die Schwelle der Tür, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Irgendetwas tastete ihn ab. Sein Blick durchzuckte den Raum, Maxwell war es nicht, er wies die Sklaven an, an der hinteren Wand Platz zu nehmen. Der Kristall? Hatte Maxwell etwas von seinen Gedanken erfahren und ihn nun als Ziel für diese Waffe ausgewählt? Sofort blieb er stehen, sein Herzschlag beschleunigte sich und vorsichtig beäugte er den Kristall, um auf jedweden Angriff vorbereitet zu sein. Doch nichts geschah. Seine Gedanken folgten dem tastenden Finger bis zu seinem Ursprung. Überrascht stellte er fest, innerhalb desselbigen bereits einen Kontrollknoten von Meister Maxwell vorzufinden. Der Alte schien doch noch gut in Form zu sein. Dann glitt er den anderen Strängen nach, die wieder aus der Waffe hinausführten und sein Herzschlag begann, sich zu beruhigen, als er feststellte, dass jeder Mensch von einem eigenen Finger ertastet wurde. Er brach die magische Sichtung ab und harrte der Dinge, die kommen sollten.
Der Schwarzmagier hatte derweil seine verbliebenen Kräfte genutzt, um die drei Sklaven in einen schlafähnlichen Zustand zu versetzen. Sein magisches Potential war nun kaum noch spürbar. Maxwell schlurfte zurück an seinen Tisch, ließ sich schwer auf den Stuhl fallen und zog von dem Tisch ein angebissenes Stück Gebäck hervor, in das er langsam hinein biss. Er hatte die Anwesenheit seines Adepten schon wieder vergessen, denn er begann nun, seine Gedanken auf den Kristall zu fokussieren.
Neugierig folgte Trontheim dem Geschehen und er nahm war, wie der Finger, der an einem der Männer hing, um ein vielfaches anschwoll. Scheinbar gezielt saugte dieser sich danach am Kopf seines Opfers fest und zerbrach wohl auch die Kontrolle des Meisters. Der Mensch stand nämlich auf und stapfte sogleich auf den Kristall zu. Nein, er ging nicht, er wurde vielmehr gezogen. Ein leises Flüstern schien in der Luft zu liegen, verheißungsvoll und versprechend lockten sie den Mann immer näher an den Kristall. Als er ihn berührte konnte man selbst ohne Magie spüren, wie ihm gnadenlos die Lebenskraft ausgesaugt wurde. Der Mensch brach erst in die Knie, krümmte sich und wand sich vor Schmerzen auf dem Boden, jedoch ließ seine Hand niemals den Kristall los. Selbst als sein Körper sich an den äußersten Enden aufzulösen begann, starb er nicht. Schlimmer noch, es schien, als würde seine Seele selber durch seinen Arm hinauf in den Kristall gesaugt. Als es vorbei war, blieben nur Kleidung und ein feiner, rötlich brauner Staub zurück.
Trontheim schüttelte die wohlige Gänsehaut ab, die er bekommen hatte, als der Mensch seinen Schmerz hinaus geschrieen hatte. Das war der Weg, den alle Feinde des Archonats zu gehen hatten. Als der Adept einen Blick zu seinem Meister warf, hob er verwundert eine Augenbraue. Dieser hatte sich nicht so an dem Schauspiel ergötzt wie der junge Mann. Vielmehr war er in einer Art meditativen Zustand versunken und schrieb in zwei Büchern gleichzeitig. Mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit füllten sich die Seiten mit Zeichnungen, Notizen, Formeln und Symbolen aller Art. Insgeheim fragte sich Trontheim, woher der Meister noch diese Kraft nahm.
Ein magischer Blick genügte, dann spürte er die Quelle auf. Der Meister hatte die Lebenskraft angezapft, die die Waffe dem Menschen ausgesaugt hatte. Mit neuer Ehrfurcht besah er nun den Kristall. Eine Waffe, die wie eine Falle lockte, tötete und dem Besitzer Lebenskraft geben konnte. Unsterblichkeit. Innerlich jauchzte er auf über die Möglichkeiten und gerade, als er sich fragte, was die Waffe noch alles konnte, begann der zweite Mann sich aufzurichten. Begierig auf eine Wiederholung des qualvollen Todes starrte der Blondschopf in die Mitte des Raumes.
Der zweite Mann kam an dem Kristall an, streckte seine Hand aus, griff nach dem Kristall. Dann fiel er um und lag auf dem Rücken neben dem Kristall, die Hand immer noch dort wie angekettet. Doch irgendetwas stimmte nicht. Stirnrunzelnd besah sich Trontheim die Szenerie. Keine Lebenskraft wurde abgesaugt, keine Schmerzen, nichts. Moment, hatte dort nicht gerade irgendetwas geknackt? Erschrocken sah der Adept, wie zwischen den Fingern des Mannes der Kristall zu splittern begann. Überrascht keuchte der junge Schwarzmagier auf, wollte bereits eingreifen, die Waffe schützen, als sich etwas Neues zeigte.
Aus dem entstehenden Loch im Kristall zwängte sich etwas kleines, weißes hervor. Im Schritt verharrend beobachtete Trontheim argwöhnisch die Made, die nun begann, den Arm des Mannes hinaufzugleiten. Von dem Riss war sonderbarerweise nichts mehr auszumachen. Er verfluchte sich innerlich, dies nicht bemerkt zu haben und folgte nun umso aufmerksamer dem Weg der Made. Mit raupenartigen Bewegungen stakte das Ding vorwärts, erreichte den Brustkorb, schlug einen Haken und hielt auf den Kopf zu.
Der Adept wusste nicht, wie lange die Made brauchte, bis sie über das Gesicht glitt und in einem der Nasenlöcher verschwand, jedoch schien es Stunden gedauert zu haben. Nachdem nichts mehr von ihr zu sehen war, begann ein dünnes, blutiges Rinnsal aus der Nase hinauszulaufen und fast schien es ihm, als würde er ein leises Schmatzen aus dem Schädel vernehmen. Ein schneller astraler Blick bewahrheitete seinen Verdacht, der Parasit hatte sich durch den Schädel seines Opfers gebohrt und begann nun, sich im Gehirn einzunisten.
Dies war noch nicht zur Gänze abgeschlossen, als sich eine starke Verbindung zwischen dem Parasiten und dem Kristall etablierte, die ihm nicht unbekannt war. Es war eine Kontrollverbindung, der Kristall beherrschte nun einen Menschen. Trontheim wurde beinahe schwindelig von den enormen Möglichkeiten, die ihm offen stehen würde, sollte er den Kristall in Besitz kriegen. Schlagartig wandelten sich seine Gedanken, als er eine andere Präsenz wahrnahm, Maxwell. Maxwell war auch hier und schien an der Verbindung herumzuarbeiten.
Fluchtartig brach der Adept seine Verbindung ab, der Meister durfte ihn nicht erwischen, seiner Anwesenheit bewusst werden und erfahren, was er durch seine Unaufmerksamkeit alles seinem Schüler preisgegeben hatte über die Waffe. Eilig aber still verließ Trontheim das Arbeitszimmer, ließ den immer noch körperlich schreibenden Meister zurück und machte sich daran, einen Plan zu entwickeln, den er hoffentlich noch diese Nacht durchführen könnte. Diese Waffe, diese Macht musste ihm gehören. Mit den Notizen und dem Können, Maxwells Kontrolle zu imitieren, würde er schon bald einer der ganz Großen sein können im Archonat.

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So viel Wissen. Aus dunkel beringten Augen besah sich Maxwell den Stapel von Notizbüchern, die er bereits zur Gänze gefüllt hatte mit dem arkanen Wissen, dass er gewinnen konnte. So viele Formeln, Protokolle, Eventualitäten. Wer auch immer diesen kristallinen Kokon geschaffen hatte, muss entweder wahrhaft meisterlich gewesen sein, oder vollkommen wahnsinnig. Sein Blick glitt hinüber zu dem Mann, der im Begriff stand, transmutiert zu werden. Weberknecht nannte das Protokoll das entstehende Geschöpf.
Er hatte bereits alles über die Kreatur herauslesen können und in seine Bücher übertragen. Nun hockte er da, aß den letzten Rest seines Gebäcks und besah sich die Verwandlung. Die Finger der linken Hand begannen bereits zusammenzuwachsen, die Knochen des Unterarmes würden sich verdicken, das Fleisch weichen, um die Düse zu schützen, die aus der Hand entstehen würde. Die Schlüsselbeine brachen ebenfalls durch die Haut durch, sie würden eine Art Halskrause entwickeln, von roter Farbe, die wie die Antennen von Insekten agieren würden. Rot ist auch die Farbe, die bereits der Kopf angenommen hatte durch eine massiv verstärkte Durchblutung, anscheinend musste der Parasit eine gewisse Umgebungstemperatur haben.
Nun würden einige Stunden vergehen, ehe sich wieder die Möglichkeit bot, seine Finger in dieses doch sehr komplizierte Netz zu tauchen. Dies merkte auch sein Körper und solch vernachlässigte Dinge wie Nahrung, Schlaf und Erholung forderten mittlerweile einen zu hohen Tribut. Ein Seitenblick auf die Frau, die immer noch wie betäubt an der Wand lehnte, erfüllte ihn fast mit etwas wie Neid, sie würde erst aufwachen, wenn er seinen Kontrollzauber um sie lockerte. Müde erhob sich Maxwell von dem Stuhl und mit schmerzenden Gliedern stakte er aus dem Arbeitszimmer hinaus, nicht ohne vorher noch einen Blick auf den Kristall zu werfen, ehe er die Tür hinter sich verschloss.
Trontheim würde morgen unter Aufsicht Gelegenheit haben, dort aufzuräumen. Auf seinen Wink hin bezog der Missgestaltete Position im Gang vor dem Arbeitszimmer, um niemanden außer seinem Herrn durch zu lassen, immerhin hatte Maxwell eine Aufgabe für seine verbliebene Kreatur gefunden und hatte somit einen weiteren Schrank frei.
Auf dem Weg zu seinem Schlafgemach passierte er die Räume des Zikkurat, ohne einen Blick zur Seite zu werfen, am Essbereich jedoch weckte ein wohlbekannter Duft seine Aufmerksamkeit. Kaffee, dort stand eine Tasse dieses wunderbaren Gebräus. Ohne darüber nachzudenken trat der Schwarzmagier an den Tisch heran und trank die im abkühlen begriffene Tasse Kaffee in einem Zug aus. Das weckte Lebensgeister und brachte das Gehirn in Schwung. Doch nun erwachte auch sein Misstrauen. Eine Tasse Kaffee stand nicht einfach nur so herum, jemand musste sie aufgebrüht und eingeschenkt haben. Trontheim traute er keine selbstlose Tat zu, aber was, wenn sie nicht selbstlos war?
Argwöhnisch untersuchte er die letzten Reste am Bodensatz der Tasse, fand jedoch keine Spuren magischer oder anderer ungewöhnlicher Substanzen. Als er die Tasse vorsichtig absetzte wurde ihm eine kleine Schüssel gewahr, die unscheinbar auf dem Tisch stand. Im grellen Licht des Vollmondes waren mehrere kleine Stücke Schokolade zu erahnen, doch der magische Blick offenbarte mehr. Behindert durch seine erschöpften Reserven konnte Maxwell nur noch die Natur der Verzauberung erahnen, nicht jedoch den genauen Spruch, der dort eingewoben war. Jemand hatte sich mit viel Mühe ein gutes Dutzend Stücke der Schokolade mit Kontrollzaubern versehen und eines am Boden mit einem Erkenntniszauber. Rechtzeitig bevor sein flackernder arkaner Blick erlosch, gelang es dem müden Mann noch, das Stück mit dem Erkenntniszauber und einer handvoll harmloser Stücke aus der Schüssel zu retten. Während er genüsslich auf den unverdorbenen Stücken kaute, drehte er den süßen Erkenntnisfoki zwischen seinen Fingern und schließlich erkannte er alles wieder. Der Kaffee war der Köder, die Schokolade die Falle und dieses besondere Stück war das Glöckchen, um die gelungene Jagd zu melden. Aber was war die Falle und was das Motiv?
Die Tür zu seinem Arbeitszimmer war mit magischen Fallen versehen, also musste er das Ziel sein. Da ihm die Kraft fehlte, seinen Missgestalteten zu rufen, ging er kurzerhand wieder hinab, um ihn persönlich zu holen. Daraufhin postierte er die Kreatur vor seinem Schlafgemach und gab ihm das mit Erkenntnis verzauberte Stück Schokolade zu fressen. Sicherheitshalber sperrte er die Schüssel mit den Schokoladenstücken in einem Schrank ein, bevor er sich mit einer leichten Unruhe auf sein Bett niederlegte und entgegen der Erwartungen augenblicklich in einen tiefen, regenerativen Schlaf verfiel.

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Am Rande seines Bewusstseins registrierte Trontheim das Aufblitzen und verschwinden seines Erkenntniszaubers. Der Alte war tatsächlich in die Falle gegangen. Wenn die ganze Schüssel geleert war, würde Maxwell frühestens in zwei Tagen wieder aufwachen. Das Grinsen wich aus seinem Gesicht, als die Konzentration begann. Seine Kammer lag zufällig exakt über dem Arbeitszimmer des Meisters, was es ihm erlaubte, durch Meditation die magischen Vorkehrungen zur Sicherung schon länger zu untersuchen. Nun war es an der Zeit, diese beiseite zu schieben und dort einzudringen. Allein dafür würde er die Nacht über brauchen. Sollte seine Suche daraufhin nicht von Erfolg gekrönt sein, die Waffe an sich zu bringen, musste er alle Spuren beseitigen, die auf seinen versuchten Verrat hinweisen konnte. Gelang es ihm jedoch, die Waffe an sich zu bringen, würde Maxwell nicht mehr aufzuwachen brauchen. Vorsichtig schob er nun den ersten von vielen magischen Fäden aus der gewobenen Schutzmagie beiseite, nun vollkommen in seiner Meditation versunken.
Maxwell schlief. Sein Schlaf war traumlos, dunkel und ohne Inhalt. Inmitten eines Landstriches, so voller geballter Magie und Magieanwendung, erholten sich seine körperlichen und geistigen Reserven in einem Tempo, das für normale Menschen unbegreiflich sein müsste. Das verspürte Maxwell in seinem Schlaf instinktiv.
Dann sah er etwas vor seinem geistigen Auge. Es war kein Traum, denn sein Schlaf war traumlos. Es war keine Vision, denn was er sah, das war und wird nicht erst sein. Das Gefühl des Jetzt war stark und das Gefühl aus Neugier und Furcht zugleich schien ihn überwältigen zu wollen. Von seinem Blickwinkel aus lag er auf dem Boden, hatte keine Kontrolle über das, was er sah, oder was er sehen wollte. Er sah keinen Körper, nur sein Blick war dort. Und dieser haftete oberhalb seines Schreibtisches. Maxwell lag in seinem Arbeitszimmer, dort, wo der Kristall stehen sollte. Alles sah aus, wie es auszusehen hatte. Die Bücher lagen so, wie er den Raum verlassen hatte, nur die Laternen waren deutlich weiter hinabgebrannt.
Warum sah er all dies? Nichts war anders, nichts bewegte sich. Doch halt, was geschah mit der Decke? Sein Blick hatte dies im gleichen Augenblick bemerkt, wie der Schwarzmagier selber. Der Blick richtete sich auf eine scheinbar willkürlich gewählte Stelle der Decke aus. Erst unmerklich begann es, wurde jedoch von Augenblick zu Augenblick offensichtlicher. Die Steine der Decke begannen zu schmelzen, perlten hinab wie das Wachs einer Kerze. Ein Loch entstand, kaum größer wie eine Faust, erweiterte sich, ließ flüssigen Stein zu Boden tropfen.
Zur großen Erleichterung Maxwells kam keiner der Gesteinstropfen nah genug an die Bücher heran, um diese zu Entzünden und unwiderruflich zu zerstören. Das Loch war nun etwa einen Schritt im Durchmesser und weitete sich nicht weiter aus. Die Überraschung Maxwells war groß, als er gewahr wurde, welcher Saboteur soeben durch die Öffnung hinabschwebte. Trontheim, sein eigener Adept, wagte es, in sein Arbeitszimmer einzubrechen. Nur nebensächlich erstaunte ihn dessen Können, seine Schutzmagie so ausgehebelt zu haben, dass er scheinbar unbemerkt hier einbrach. Jedoch war das entstandene Maß der Zerstörung unübersehbar und der Schwarzmagier bezweifelte, dass der junge Magier in der Lage wäre, diesen all zu offensichtlichen Hinweis aus der Welt zu schaffen.
„Vielleicht hatte er das auch nie vor.“
Erschrocken fuhr sein Blick herum, zum Einen erleichtert, wieder ein wenig mehr sein eigener Herr zu sein, andererseits erbost darüber, dass sich jemand von hinten an ihn heranwagte. Was auch immer ihm an spitzen Bemerkungen auf der Zunge lag, war schlagartig vergessen, als seine Umgebung mitten in seiner Umdrehung sich veränderte. Sein Umfeld schimmerte grünlich und wirkte auf sonderbare Weise abstrakt und surreal. Die Person, eine Frau, die ihn angesprochen hatte stand wenige Schritt hinter ihm. Er selber hatte wieder einen sichtbaren Körper, oder vielmehr astrales Abbild, wie er vermutete und schien auf einer unsichtbaren Plattform zu stehen. Zumindest das Gefühl eines Bodens ging durch seine Stiefel.
Die Frau ihm gegenüber trug wie er selber eine Schwarzmagierrobe des Archonats, war ihm gleichermaßen vertraut wie unbekannt. Schon die Tatsache, dass er sich umdrehen konnte, schien auf ihrem Gesicht Missbilligung hervorzurufen, zumindest war ihm, als ob dieser Ausdruck ihm und seiner unerwarteten Bewegungsfreiheit galt. Durch zusammengekniffene Augen begutachtete er die Magierin vor sich genauer.
Ihr Gesicht stellte mittlerweile eine neutrale Strenge zur Schau, ihr schwarzes Haar war hinter dem Kopf zusammengebunden. Der Körper war klein und schien trotz der weiten Robe gedrungen zu sein, kräftige Arme waren vor ihrer Brust verschränkt und sie schien auf eine Antwort zu warten, die er ihr nicht geben wollte.
So schwiegen die beiden astralen Schwarzmagier sich an, während Trontheim mit düsterer Entschlossenheit sich ein Buch nach dem anderen vornahm und deren Inhalt überflog. Schließlich war es wieder die Frau, die die Stille brach.
„Willst du dich nicht bedanken, dass ich dich vor dem Verrat deines Schülers warne?“
„Ich sehe mich momentan außerstande, etwas dagegen zu unternehmen, von daher ist die Warnung noch nicht sehr hilfreich gewesen. Aber da ihr mich kennt, wie wäre es, wenn ihr euch vorstellen würdet?“
Maxwell legte soviel Arroganz und Aggressivität in seine Stimme, wie er konnte, jedoch schien dies an seinem Gegenüber wirkungslos abzuprallen.
„Nun gut“ die Frau nickte.
„Meine momentane Form entspricht der meiner Schöpferin, Leonora. Ich bin sozusagen der Geist dieses Wesens“ mit einer ausholenden Geste wies die Magierin auf ihre Umgebung.
Maxwell durchwühlte seine Erinnerungen, dunkel erinnerte er sich daran, einmal von einer Schwarzmagierin namens Leonora gehört zu haben, konnte ihr aber weder Gesicht, noch Domäne zuordnen. Und mit ‚Geist des Wesens’ bestätigte sie ihm nur, dass der Kristall ein Ei darstellte.
„Ihr wollt mir weismachen, dass ihr aus diesem Kristall hier schlüpfen werdet?“
„Das ist so nicht ganz korrekt. Dies hier ist der zweite Modellversuch zur Erschaffung einer Kreatur halb Mensch, halb Spinne. Ich wurde erschaffen, um dem Embryo zu geleiten und anzuweisen, die erste Zeit bis zur Verschmelzung mit einem geeigneten Wirt zu überstehen. Danach werde ich als Gewissen, als eine Ansammlung magisch geprägter Erinnerungen und Protokolle in dem neuen Wesen fungieren.“
Maxwell setzte zu einer Frage an, doch die Frau hob ihre Hand und unterbrach ihn, ehe er ein Wort aussprechen konnte.
„Ich weiß, dass du viele Fragen hast. Durch das Absorbieren deines Dieners und der kontrollierenden Verbindung zu dir, habe ich beinahe uneingeschränkten Zugriff auf deine Gedanken. Ich spüre und sehe, dass dir dies missfällt, jedoch war dies ein unbeabsichtigter Unfall. Es ist durch meine Protokolle nicht gestattet, ein Mitglied des Archonats anzugreifen, unglücklicherweise war ich durch einen akuten Mangel an Kraft dazu gezwungen, mich aus der aktiven Welt um den Embryo zurückzuziehen. Was dich gelockt hat, war ein Hilferuf. Es wurde nicht vorhergesehen, dass dieses Experiment außerhalb einer unbeobachteten Umgebung stattfindet. Ich kann nicht erklären, wie und warum ich in dieser Höhle war, jedoch gab mir der Missgestaltete genug Kraft, dass ich wieder aktiv werden konnte.“
Maxwell war wütend. Nicht nur, dass es jemanden oder etwas gab, was seine Gedanken ungehindert und unbemerkt zu lesen imstande war. Mindestens genauso schlimm war es, dass das, was er hier vor sich hatte, keine Neuentdeckung von ihm war, sondern nur ein verlegtes Experiment einer ihm unbekannten Schwarzmagierin.
„Geben deine Protokolle auch vor, dem Archonat bedingungslos zu gehorchen?“
„Das tun sie.“
„Dann beende sofort das Lesen meiner Gedanken.“
„Wie ihr befehlt.“
Immer noch wütend horchte er in sich hinein, konnte jedoch keine Veränderung feststellen. Wenn es die absorbierte Verbindung des Missgestalteten war, die diese Kommunikation ermöglichte, standen der Frau vielleicht noch andere Möglichkeiten offen. Er verwarf diesen Gedanken augenblicklich wieder, seine Gedanken waren wieder nur die Seinen. Nun konnte er Fragen stellen, ohne die Antwort vorher zu hören.
„Du sagtest zweites Experiment, was geschah mit dem Ersten?“
„Das ist mir nicht bekannt, mein Wissen geht nur bis zu dem Zeitpunkt meiner Erschaffung.“
Misstrauen flackerte kurz in Maxwell auf, wer versicherte ihm, dass die Kreatur vor ihm nicht log? Doch auch dieser Gedanke verschwand wie weggewischt.
„Nun gut, wenden wir uns akuteren Dingen zu. Was unternehmen wir wegen dem da?“
Sein astraler Finger wies durch die kristalline Hülle hin zu Trontheim, der mittlerweile die Füße auf des Meisters Arbeitstisch gelegt hatte und weiter die Bücher durchblätterte.
„Meine Möglichkeiten sind beschränkt, meine Protokolle verbieten es mir, Mitglieder des Archonats zu attackieren, Kampfhandlungen innerhalb des Archonats sind nicht vorgesehen. In meinem Ruhezustand ist es möglich, durch bewusste Interaktion eines Archonatsmitgliedes mit der absorbierenden Kristallhülle, sein Leben zu verlieren. Bewusste Attacken sind mir und meiner untergebenen Brut verboten.“
Die Frau nickte zur Seite und Maxwell wurde erstmals des mittlerweile vollständig ausgewachsenen Weberknechts gewahr, der immer noch neben dem Kristall lag. Maxwell zog die Stirn kraus.
„Wieso liegt der da noch?“
„Ich habe keine Einsatzmöglichkeiten für ihn und so spare ich wertvolle Kraft.“
Ein verbales Schulterzucken, er liegt also noch dort, weil er dort gut liegt. Maxwell begann schnaubend hin und her zu laufen und das Schutzprotokoll zu verfluchen. Leonora, beziehungsweise ihr Abbild, beobachtete sein Treiben stumm und geduldig. Sie in den Ruhezustand zu schicken konnte unvorhergesehene Folgen haben. Nicht nur, dass er irgendwie hier gebunden war und nicht in seinen eigenen Körper zurückkehren konnte, er müsste Trontheim auch dazu bringen, den Kristall anzufassen. Von seiner Position aus eine unschaffbare Aufgabe. Verfluchtes Protokoll.
„Das Protokoll, natürlich.“
Die Frau rührte sich nicht, schien seinem Ausruf keinerlei Notiz zu schenken, als ob ihre Gedanken woanders wären.
„Kannst du das Protokoll nicht ausschalten?“
„Meine Fähigkeiten erlauben mir das erstellen, ändern oder löschen von Protokollen nicht.“
„Los, zeig mir das Protokoll, welches dir Angriffe auf das Archonat verbietet. Ich mache es selber.“
Ihre Umgebung änderte sich schlagartig. Aus dem sanften Grün wurde erst ein tiefes Schwarz, daraufhin leuchteten unzählige blaue Sterne auf, füllten sein Sichtfeld, waren sowohl über als auch unter ihm. Protokolle, seine gesamte Wahrnehmung wurde durch die blau leuchtenden Protokolle ausgefüllt. Befehle, Eventualitäten, Gebote und Verbote rasten an ihm vorbei. Eine wahre Meisterleistung, so viele Protokolle zu entwerfen, um einem Wesen ohne direkte Kontrolle etwas wie Instinkte, Wissen und Gewissen zu geben.
Noch während er sich an dieser magisch geschaffenen Pracht satt sah, huschte eine Kugel herab und schwebte vor ihm. Ein kompliziertes Gebilde offenbarte sich, blau glänzende Verstrebungen bildeten dieses Verbot, schienen unheimlich zerbrechlich und übten doch solche Macht aus. Das Schutzprotokoll des Archonats.
Zerschlagen, das war sein erster Gedanke. Die Hand war zur Faust geballt, bereit zum Schlag. Doch etwas hielt ihn zurück. Nicht nur, das er ein wahrhaft magisches Kunstwerk zerstören würde, mehr noch, er würde sich selber als Ziel anbieten. Durch die Zerstörung dieses Protokolls würde er unwiderruflich eine potentielle Gefahr erschaffen. Etwas zog an ihm, doch sein Gefahreninstinkt bewahrte ihm diesen Gedanken. Eine Planänderung musste her, sein Geist wurde bedrängt, dieses Protokoll zu zerstören. Er trachtete nicht nach der Quelle, sondern schottete seinen Geist ab, konzentrierte sich auf sein neues Ziel. Es war schwer, diesen Spruch zu weben, er wusste nicht mehr, weshalb er dies tat, oder welcher es war, nur seine Übung und seine geistige Mauer ließen die Magie in eine Form fließen, die er wohl angestrebt hatte. Dunkle Bänder entsprangen seinen Fingern, umwickelten das Protokoll, dämpften das Licht. Bald war es eingeschnürt, verpackt und gänzlich schwarz. Das Protokoll war gefesselt und unwirksam.
Maxwell fühlte sich wie befreit, als ob eine Decke über ihm gelegen hatte, die jemand entfernte. Seine Finger zitterten und ein Gefühl der Erschöpfung machte sich breit. Müde folgte er mit seinen Augen dem gefesselten Protokoll, wie es sich erhob und im Sternenhimmel der leuchtenden Protokolle verschwand. Dieser Anblick begann sich aufzulösen und ging zurück auf das grünlich schimmernde Umfeld. Einzig das beinahe bösartig klingende Gekicher war fehl am Platz.
Sie sah ihn an, ihr Gesicht spiegelte eine Mischung aus Vergnügen und Wahnsinn wieder und Maxwell fühlte sich schwer und müde. Während sich ihr Gekicher zu einem wahrhaft wahnartigen Gelächter steigerte, sah er sie: Tentakel, ähnlich derer des Kristalls, die von der Frau ausgingen. Und eines davon schien in seinem Schädel zu enden. Nur mühsam gelang es dem Schwarzmagier, seine Hand zu heben und diese um die astrale Verbindung zu legen.
„Oh, das Püppchen hat doch noch eigenen Willen“ bemerkte die Frau mit vor Sarkasmus triefender Stimme.
„Wie ich bereits sagte, sind wir durch die absorbierte Kontrollverbindung deines Missgestalteten verbunden. Bisher konnte ich nur wenig Einfluss auf dich nehmen, doch nun bin ich dank dir in der Lage, die Verbindung umzukehren und dich zu kontrollieren.“
Ein Grinsen, breiter als es bei einem Menschen möglich sein dürfte, erschien auf ihrem Gesicht und Zähne wie aus einem Alptraum blitzen auf. Sie hatte ihn betrogen, sie hatte ihn von Anfang an betrogen. Welche seiner Gedanken und Handlungen waren die Seinen? Wie hatte er nie etwas merken können? Wie konnte ein Meister der Domäne der Beherrschung so simpel umgestülpt werden?
„Sieh zu“ sprach sie und wandte sich dem Bereich zu, der Trontheim zeigte, doch Maxwell hatte andere Pläne. Immerhin war er der Meister und nicht diese Kreatur. Er wollte ihrem Netz entkommen, musste die Verbindung kappen und dafür errichtete der Schwarzmagier erst mal Mauern, die seine Gedanken vor dem Spinnenkollektiv verbergen konnten. Worte, Gedanken, Sinneswahrnehmungen und Begriffe, die durch seinen Geist trieben schienen mit einem Schlag zu verstummen und eine willkommene Stille machte sich breit. Nun konnte er bereits kontrollieren, welche Dinge über die Verbindung zu ihm oder von ihm an der Barriere vorbei gelangen durften. Es war an der Zeit, die Kontrolle wieder zu erlangen.

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Ein Schaben und Zischen war es, dass Trontheim aus dem konzentrierten Lesen riss. In einer Stille, die nur durch das Blättern einer Seite unterbrochen wurde, klang selbst das leise Rascheln von Kleidung ohrenbetäubend. Alarmiert sprang der Adept auf, wirbelte herum und hielt Ausschau nach der Quelle der Störung. Sein erster Blick galt dabei dem Loch in der Decke, das er geschaffen hatte. Als sich dort nichts tat und das Geräusch sich ähnlich wiederholte und das von unterhalb seiner Position, ließ sein Augenmerk nach unten huschen. Tatsächlich war es der parasitär veränderte Mensch neben dem Kristall, der zu erwachen schien.
Der Weberknecht, soviel hatte er bereits aus den Büchern erfahren, bog seine Arme nach oben, legte die Hände neben seinen Kopf auf dem Boden ab und spannte die Muskeln an. Was nun geschah, hatte der junge Mann, der Kämpfe gern mittels seiner magischen Möglichkeiten mied oder direkt gewann, noch nie gesehen. Die Kreatur schwang die Beine in die Luft, stieß sich dann mit den Händen vom Boden ab und schaffte es, mit den Füßen zuerst auf dem Boden zu landen und kampfbereit in der Hocke zu verharren.
Vorsichtig streckte der Adept nun seine magischen Fühler aus. Diese Kreatur war kontrollierbar, das wusste er. Da sich Maxwell bereits dort befunden hatte, konnte er die Kontrolle sicherlich imitieren und das Wesen so für seine Zwecke nutzen. Doch er fand keinen Kontrollknoten in der Kreatur. Ob diese nun Anstoß an seinem astralen Tasten, oder eher an dem erschrockenen Ausruf Trontheims nahm, war ihm momentan eine müßige Frage. Mit einem wütenden Zischen spannte der Weberknecht die Beinmuskulatur sichtbar an und bereit sich zum Sprung vor. Wenn es nach dem Adepten ging, würde es gar nicht erst soweit kommen. Mit der Kraft der Verzweiflung trat er seinen Stuhl der Kreatur entgegen und sah zufrieden, wie diese durch seine überraschende Attacke einen Schritt nach hinten gestoßen wurde.
Die Gunst des Augenblickes nutzend eilte der junge Mann nun der Holztür entgegen, die rechte Hand bereits am Griff, die linke auf die Steinwand gestützt, um sein Tempo abzubremsen, sah er sich wieder besseren Wissens noch einmal zur Kreatur um. Wie um seine Befürchtungen zu bestrafen stand sie dort, den knöchernen Unterarm auf ihn gerichtet. Dort, wo normale Menschen einer Hand besaßen, schnellte ein rosiger Fleischklumpen hervor und entlud eine milchige Masse, die der Weberknecht auf den Menschen feuerte. All dies geschah in weniger als einem Herzschlag und Trontheim konnte nur mit schreckgeweiteten Augen Mitansehen, wie die Masse seine linke Hand samt Unteram an der Steinwand festhielten.
Siegesgewiss näherte sich die Kreatur nun hinterrücks seinem Opfer. Durch unzählige Übungen und Belehrungen behielt der Adept selbst in diesem Augenblick noch einen kühlen Kopf. Noch bevor er von hinten gepackt wurde, hatte er bereits genügend Kraft kanalisiert und seine Umgebung manipuliert und kaum berührte ihn die Hand von hinten, entfaltete sich der Zauber. Mit einem Schlag versanken beide Kontrahenten Knöcheltief im weich gewordenen Steinboden und Trontheim zog die Hand vom ebenfalls weichen Mauerwerk. Trotz der klebrigen Masse an seiner Hand schlug der Adept nun auf den völlig überrumpelten Weberknecht ein und es gelang ihm sogar, diesen rücklings niederzuwerfen. Doch damit endete sein Glück.
Der Magier musste selber einen Schritt aus dem weichen Boden herausmachen, wollte er es doch nicht riskieren, dort festgesetzt zu werden. Kaum hatte er wieder festen Boden unter den Füßen, wurde ihm dieser von der vor ihm liegenden Kreatur wieder weggezogen. Ein kräftiger Tritt in den Kniebereich ließ den Adepten stürzen und noch ehe dieser auf dem Boden aufschlug, krachte ein Hieb mit dem knöchernen linken Unterarm gegen sein Brustbein. Sterne explodierten vor seinem Auge, Dunkelheit und Übelkeit übermannten den Schwarzmagier in Sekundenbruchteilen. Trotz ihrer Unerfahrenheit im Kampf war das Spinnenwesen dank überlegener Kraft doch noch siegreich gewesen.
Mit der verbliebenen Hand packte der Weberknecht nun den bewusstlosen Trontheim am Kragen seiner Robe und schleifte den Körper zur Mitte des Raumes hin. Dort angekommen, drapierte er den Körper grob neben dem Kristall, beugte sich hinab und ergriff die Hand des Adepten, um diese auf dem Kristall zu drücken.

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Geschafft. Trotz der miserablen Kämpferqualitäten ihres einzigen Knechtes war es ihr gelungen, den Schwarzmagier zu erbeuten. Nun war der Kristall dabei, seinen Widerstand zu brechen und die magische Kraft abzusaugen. Danach wäre der vergleichsweise kümmerliche Rest Lebensenergie dran.
Das selbstgefällige Siegerlächeln verschwand augenblicklich, als Leonoras Abbild ein heftiges Ziehen am Hinterkopf verspürte, als ob jemand ungeniert an einer Strähne ziehen würde. Mit frostiger Miene wandte sie sich um, nur Maxwell konnte vielleicht noch genug Willen aufbringen, um ein wenig aufmüpfig zu werden. Doch als sie seiner gewahr wurde, verwandelte sich ihr Gesichtsausdruck in Entsetzen. Das astrale Abbild des Magiers stand nicht wie erwartet als stiller und kontrollierter Diener in ihrem Rücken, sondern im Gegenteil eher stark und selbstsicher. Und in der rechten Hand, die vor Magie blau flackernd leuchtete, zuckte die Verbindung, die sie beide verband. Hatte sie ihn so unterschätzt? Wie konnte er diese Verbindungen nur sehen, geschweige den packen?
„Was bei den Niederhöllen machst du da?“ keifte sie ihn erschrocken und wütend zugleich an.
Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Schwarzmagiers.
„Zeit, wieder der Meister zu werden. Erst werde ich mich von dir lösen, danach wirst du dich mir wieder unterwerfen.“
Er packte den Tentakel fester, das Lächeln wurde sadistischer.
„Das könnte jetzt ein wenig wehtun, ich hoffe, du stehst auf Schmerzen.“
Noch ehe sie etwas sagen konnte, geschweige den eingreifen, riss Maxwell sich den Kontrolltentakel aus dem Schädel. Pure Agonie schoss durch seinen Geist, seinen Körper, durch das Kollektiv der Spinne. Heißes Feuer brannte in all ihren Adern und alle Wesen schrieen diesen unmenschlichen Schmerz hinaus. Dies war die schnellste und brutalste Möglichkeit, jemanden aus einer Kontrolle zu reißen und hätte der Meistermagier nicht vorgesorgt, wären die geistigen Schäden an ihm selber so enorm gewesen, dass er nur noch als sabbernder Greis aufgewacht wäre. Wenn überhaupt.
Seine astrale Sicht verzog sich, drehte sich, sein unweltlicher Körper wurde durch die Decke geschleudert und das Nächste, was er mitbekam, war der willkommene, weltliche Schmerz seines Körpers und die Schreie der Agonie aus seinem eigenen, weltlichen Mund. Der Schwarzmagier hatte jegliches Zeitgefühl verloren, er konnte nicht sagen, wie lange die Schmerzen ihn im Griff hatten, doch sobald er dazu in der Lage war, stand er auf und torkelte los. Immer noch trunken vor Schmerz und Pein stolperte Maxwell mehr als er ging die Gänge hinab, vorbei an dem sich gerade aufrappelnden Missgestalteten. Es war über die ehemals vertraute Kontrolle nur noch die Existenz des Wesens spürbar, jegliche Herrschaft musste die Spinne an sich gerissen haben, während ihrer Kontrolle über ihn.
Im Vorbeigehen griff der alt wirkende Mann nach einem seiner Stäbe, wischte sich die letzten Tränen aus den Augen und begab sich in den Gang unterhalb des Zikkurat, der Weg zum Arbeitszimmer. Es ging ihm nicht darum, seinen verräterischen Adepten zu retten, den Tod hatte dieser mehr als genug verdient. Nein, er durfte der Spinne nicht zuviel Macht zukommen lassen und außerdem konnte er nicht dulden, dass sich irgendwas zu seiner Nemesis machen konnte. Ein letztes Mal durchatmen, dann durchschritt er die Tür und warf sie schwungvoll hinter sich ins Schloss, um seine Ankunft lautstark zu verkünden.
Der Anblick, der sich ihm bot, war wenig erfreulich. Trontheim lag immer noch am Boden, seine magische Kraft völlig aufgesogen begann sein Körper nun zu altern, während ihm die Lebenskraft genommen wurde. Die Frau, die bisher wie apathisch und unbeachtet an der Wand lehnte, stand mit leerem Blick im Kristall, welcher sich enorm vergrößert hatte und die Frau bis über die Hüften umschlungen hatte. Ein neuer Wirt für den Geist der Spinne. Noch während der Kristall sichtbar an der Frau weiter nach oben wuchs, machte sich der Weberknecht daran, den Eindringling in das Territorium der Spinne zu vertreiben.
Positiv überrascht stellte Maxwell fest, dass sein Gegner sich äußerst langsam bewegte, als ob er in Gedanken wäre, oder eher seine Gedanken mit wichtigerem beschäftigt. Die Gunst des Augenblicks nutzend vollführte der Schwarzmagier einen Ausfallschritt und stieß mit seinem Stab die Hand seines Adepten vom Kristall fort. Nicht weiter auf den sich nun stöhnend windenden Trontheim achtend, wandte Maxwell sich nun wieder seinem Gegner zu.
Wütend fauchte und zischte dieser nun und stürzte sich auf den Schwarzmagier, dem es nur mit Müh’ und Not gelang, die Schläge zu parieren. Mehr aus glücklichem Zufall als durch gewolltes Taktieren gelang es Maxwell, nachdem er im Türbereich beinahe in die Ecke gedrängt war, sein Stabende durch die Beine des Weberknechtes zu führen und hinter dessen linken Kniegelenk zu positionieren. Durch einen heftigen Ruck brachte er seinen Gegner zwar nicht zu Fall, jedoch gewann er ein wenig Raum und konnte den nun wild mit den Armen rudernden besser attackieren.
Da sein Körper ausgeruhter war als sein Geist, konnte Maxwell nun auf seine Magie zurückgreifen. Seine rechte Faust begann blau zu flackern, erstrahlte im hellen Licht. Konzentriert holte er aus, schwang die Faust und rammte sie gegen den Brustkorb des Weberknechtes. Hätte nicht in diesem Augenblick ein unangenehmes Zupfen im Hinterkopf seine Konzentration kurz geschwächt, hätte diese Attacke seinem Gegner den Brustkorb zerfetzt. So jedoch ging die Ladung fehl, die Kreatur wurde durch die freigewordene Kraft rücklings gegen die Wand geschleudert, die sich verformte und Gesteinssplitter absprengte. Obwohl Maxwell weitaus weniger der kinetischen Energie abbekommen hatte, hielt er sich noch benommen den Kopf, während die Spinnenkreatur sich bereits wieder aufrappelte.
Der Kreatur fehlte es eindeutig an Kampferfahrung, er musste sie schnell und hart bedrängen, wollte er erneut solch eine Gelegenheit erhalten. Würde ihm dies nicht gelingen, war sein Schicksal als Drohne des Kollektivs besiegelt. Eine Gänsehaut überkam Maxwell, allerdings lag das nicht an dieser finsteren Aussicht. Schnell tastete er mit seinen Sinnen die Ursache seiner Konzentrationsstörung ab und augenblicklich war ihm der Grund für das Zupfen klar: Sein letzter Missgestalteter war weg. Entweder zerstört, oder von den Spinnen übernommen. Ein weiterer Gegner wäre das Ende seinerseits.
Doch der alte Mann erhaschte noch einen weiteren Einblick. Etwas näherte sich zielstrebig ihrem Aufenthaltsort, dunkel, böse und unermesslich stark. Unbewusst wandte er seinen Blick der Tür zu und jegliche noch verbliebene Farbe wich ihm aus dem Gesicht. Die Tür begann zu vereisen. Die Falle, die jedem Außenstehenden beim unerlaubten Betreten des Raumes festhalten sollte, wandte sich soeben gegen die Tür selber. Ein lautes Knacken kündigte das Unheil vor der Tür bereits an und im beinahe letzten Moment erst gelang es Maxwell, wieder seine Fassung zu erlangen und sich bäuchlings zu Boden zu werfen.
Die Hände soeben zum Schutz des Kopfes erhoben, geschah es. Mit einem kristallinen und zugleich anmutigen Knall explodierte die Tür ins Innere des Raumes und Eissplitter sausten Geschossen gleich durch den Raum. Einige wenige bohrten sich in seine Beine und den Rücken, der Großteil jedoch traf die vollständig vom Kristall umhüllte Frau, doch anstatt diesen zu perforieren oder daran zu zersplittern, wurden selbst diese absorbiert und als Kraft für die Umwandlung weiterverwendet. Vorsichtig lugte Maxwell unter seinen Armen hervor und wurde mehrerer Stiefelpaare gewahr, die in den Raum stürmten.
Auch der Weberknecht wandte sich nun der neuen Bedrohung zu. Zischend sprang er der wogenden, schwarzen Masse aus Missgestalteten entgegen, feuerte dem Erstbesten aus dem Unterarm sein Netz entgegen. Doch diese Missgestalteten waren anders, besser, schneller. Behände warf der Vorderste sich in den Raum hinein, rollte neben Maxwell ab und kam bei Trontheim wieder auf die Beine. Der Hintere hatte weniger Erfolg und verhedderte sich im Netz der Spinne. Ohne weiteres Abwarten sprangen nun mehrere der untoten Kreaturen den Weberknecht an, rangen das überforderte Spinnenwesen nieder und nagelten es mit ihren Körpern am Boden fest.
Mindestens ein Dutzend dieser unheimlichen Kämpfer hatten sich in den Arbeitsraum gedrängt und bis auf das Zischen des Spinnenwesens wurde es sehr still. Maxwell hielt den Atem an, als das Klacken eines Stabes auf Stein die Stille durchschnitt. Gemessenen Schrittes kam etwas näher und als es ihn passierte, konnte der Schwarzmagier nicht anders, als erschrocken aufzukeuchen. Erst kam ein tiefschwarzer Stab in sein Sichtfeld, gefolgt von einer seitlich geschlitzten Archonatsrobe, aus denen zwei, wie er sagen würde, wunderschöne Frauenbeine herausragten. Es gab nur eine ihm bekannte Schwarzmagierin, die solch eine Robe trug und ein ängstlicher Blick nach oben bestätigte seine Befürchtungen.
Die Vorsteherin des Unterarchonats, dem er angehörte, betrat sein Arbeitszimmer. Dies erklärte die elitären Missgestalteten, die nur aus den besten Teilen von den besten Gestaltern geschaffen wurden. Und ihm war klar, dass sie diese finstere Macht war, die er auf dem Gang gespürt hatte und die vermutlich auch seinen Missgestalteten ohne federlesens aus der Welt gepustet hatte. Ihre eng anliegende Robe war ärmellos und ihre zarten Arme endeten in feinen Fäustlingen, dass blonde Haar quoll stellenweise unter ihrem Chapeau hervor, insgesamt machte sie einen schönen, aber auch eilig wirkenden Eindruck. Ersteres wurde von ihr Gerüchteweise noch magisch verstärkt, Zweiteres kann an der späten Zeit liegen, immerhin war der Sonnenaufgang sicherlich noch ein wenig entfernt.
Vorsichtig erhob Maxwell sich hinter ihr, strich seine Roben glatt und wartete, während die Frau interessiert den Kristall betrachtete.
Er fühlte sich alt, schwach und gebrechlich zugleich, verharrte wartend, aber trotz aller Schmerzen aufrecht stehend. Insgeheim war er froh, als sie das Wort an ihn richtete.
„Zwei Männer sollen dieses Gebäude bewohnen, ein junger Adept und ein Meister mittleren Alters. Ich sehe aber nur zwei alte Männer hier. Wer von euch ist wer?“
Trotz all der Erotik in ihrer Stimme, war die mitschwingende Kühle, die Warnung davor Antworten zu geben die sie nicht hören wollte, unverkennbar. Der Meister musste schlucken, ehe er sich imstande fühlte, eine Antwort zu geben.
„Ich bin Maxwell, Meister der Domäne der Beherrschung und Herr dieses Hauses. Dies dort“ er wies beiläufig auf den sehr alt aussehenden Menschen zu ihren Füßen „ist mein Adept Trontheim.“
Ihre hochgezogene Augenbraue sprach Bände über ihre Meinung diesbezüglich. Ein Fingerschnippen von ihr erklang und der ihr am nächsten stehende Missgestaltete ließ sich augenblicklich auf alle Viere nieder, sodass sie auf seinem Rücken Platz nehmen konnte.
„Dann berichtet mir, was hier vorgefallen ist, woher ihr das da habt und was der Auslöser für den Impuls aus Hass und Schmerz war, der so viele von uns aufgeschreckt hat.“
Und Maxwell berichtete. Er wagte es nicht, irgendwelche Dinge zu beschönigen, auszulassen oder gar zu Lügen. Jedes Detail, jeden Gedanken, alles gab er Preis. Seine Glieder schmerzten unaufhörlich, sein Durst wurde unmenschlich und alles in ihm schrie nach Ruhe, doch er gab sich keine Gelegenheit, ein Zeichen der Schwäche vor ihr zu zeigen. Ganz im Gegenteil zu Trontheim.
Sein Meister hatte gerade seinen Bericht beendet und die Herrin grübelte noch über die gesagten Dinge nach, als er nach ihr griff, ihr Bein packte und flehentlich um Hilfe bettelte. Maxwell sog scharf die Luft ein und sie reagierte beinahe so, wie er erwartet hatte. Mit einem vor Ekel über diese unerhörte Berührung verzogenen Gesicht hieb sie mit ihrem Stab gegen seine Seite, blaue Funken stoben auf und der geschlagene wurde zur gegenüberliegenden Wand geschleudert. Ächzend versuchte der Adept sich zu rühren, doch die Schwarzmagierin war schneller. Ehe er den Kopf heben konnte, drückte sie ihren Stab in seinen Nacken, drückte kräftig zu und mit einem lauten Knacken brachen die spröden Knochen und beendeten sein Leben. Der nun schülerlose Meister nahm dies ohne Regung hin, Trontheim war ein Verräter und durch den Kristall nun auch ein alter, kraftloser Mensch, der zu schwach für das Leben im Archonat war.
Die Nase immer noch kraus gezogen wandte sie sich von der Leiche ab und ging auf Maxwell zu. Sollte sie sein Leben beenden wollen, würde er zumindest im Stehen sterben. Doch es kam anders als erwartet. Nur einen halben Schritt vor ihm blieb die schöne Frau stehen und sah ihren Untergebenen direkt an.
„Könnt ihr die Kontrolle über die Brutmutter und ihre Brut erlangen? Könnt ihr das Schutzprotokoll wieder aktivieren?“
Ein lauernder Blick lag in ihren Zügen, sie kniff die Augen leicht zusammen und erwartete seine Antwort. Erneut musste er schlucken, ehe er antworten konnte.
„Dazu bin ich in der Lage, hohe Herrin.“
„Gut“ sie wandte sich ab, blickte nun den Kristall an.
„Leonora ist uns bereits einmal entkommen. Dieser Fund ist ein Glücksfall und wird unseren Ruf beim Archonat wieder herstellen. Momentan ist sie damit beschäftigt, ihren neuen Körper zu formen und ist abgelenkt, das sollte zum Vorteil gereichen, Meister Maxwell. Ein Versagen hierbei wird nicht toleriert. Solltet ihr jedoch erfolgreich sein, steht euch der Rang eines Großmeisters zu, der Dank des Archonats ist euch gewiss und weitere Belohnungen jenseits eurer Vorstellungskraft erwarten euch.“
Maxwell konnte sich viel vorstellen und das lag nicht allein an der mitreißenden Stimme seiner Herrin. Diese fuhr nun mit nüchterner Stimme fort.
„Ihr braucht ein neues Gebäude, größer, sicherer und…“ sie warf naserümpfend einen missbilligenden Blick Richtung Decke „…weniger zerlöchert. Zudem werdet ihr neue Missgestaltete Wachen erhalten, euer eigener taugte nicht einmal als Zielscheibe.“
Sie verharrte noch einige Augenblicke, ehe sie ihn aufforderte, ihr zu folgen. Maxwell überkam ein ungutes Gefühl bei der Sache, sollte er Erfolg haben, würden seine kühnsten Erwartungen übertroffen. Ein Fehlschlag jedoch konnte ihn wieder in die Fänge der Spinne treiben oder sein Leben beenden. Mit einem Mal schien die Zukunft weniger rosig.

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„Maxwell wurde seitdem nie wieder gesehen. Einige sagen, er schwelge nun im Luxus und in allen Annehmlichkeiten an der Seite der Herrin des Unterarchonats. Andere hingegen sagen, seine Untoten Überreste wurden eingemauert und überließen ihn somit der Zeit und dem Wahnsinn. Eines jedoch ist Gewiss, dass Archonat ist im Besitz einer neuen Spinnenkönigin. Achtet also darauf, niemals alleine im Wald zu sein und habt stets eine Waffe bei euch.“
Erleichtert atmet der alte Mann auf, seine Geschichte ist beendet. Er hebt seinen Spitzhut auf, hält ihn mit der Spitze nach unten und sagt: „Wenn euch meine Geschichte unterhalten hat, so bitte ich nur um eine kleine Anerkennung. Hat sie es nicht, so bitte ich um eine Spende, damit ich hier mit genug Proviant zur nächsten Stadt komme“ fügte er augenzwinkernd hinzu. Ein amüsiertes Gelächter erklang und die Bewohner warfen ihm einige Münzen in den Hut. Nicht viel, aber es würde für ein Nachtlager, eine warme Mahlzeit und ein wenig Reiseproviant reichen. Anscheinend hatte er sie doch so verschreckt, dass sie ihn lieber von dannen ziehen sehen wollten, insbesondere die beiden Gecken, die ihn nun mit gekonnter Ignoranz straften.
Der Abend war bereits angebrochen und seine Zuhörer verschwanden nach und nach in der Taverne oder ihren Hütten. Und während er seine Beute noch im Schein einer einsamen Laterne zählte, baute sich eine in weite Roben gehüllte Gestalt vor ihm auf. Sie war die ganze Zeit über während seiner Erzählungen da gewesen. Eine behandschuhte Hand ragte aus einem der Ärmel hervor und ließ eine schwere, goldene Münze in den Hut fallen. Er brauchte nicht aufzuschauen, um zu sehen, wer ihm gegenüber stand.
„Ich habe die Geschichte noch ein wenig anders in Erinnerung, Maxwell“ sprach eine weibliche Stimme unter der im Schatten liegenden Kapuze und ein eiskalter Schauer glitt dem alten Mann den Rücken hinab.
„Nun, sie passte mir so etwas besser, finde ich.“
„Möglich, aber dein Platz ist nicht hier, Maxwell.“
„Irgendwie hat mir die Anrede ‚Meister’ besser gefallen“ erwiderte der alte Mann resigniert. Er ahnte mehr, als dass er es sah, wie die Züge der Spinnenfrau sich unter der Dunkelheit der Kapuze zu einem breiten, fast raubtierhaften Grinsen verzogen.
„Niemand entkommt mir oder dem Archonat, das müsstest du doch am besten wissen. Kommst du freiwillig mit?“
Die Drohung, die in ihrer Stimme mitschwang, war unverkennbar und wie um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, riss die Wolkendecke auf, im fahlen Mondlicht waren sie sichtbar, die huschenden Schatten auf den Dächern und zwischen den Hütten, bereit für etwas, was nichts mit ihm zu tun haben musste. Er war wohl nur am falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen, wieder einmal.
„Du kennst mich doch, ich habe nur eine kleine Auszeit benötigt, Urlaub sozusagen.“
Bei diesen Worten begann er, seine unscheinbare graue Robe aufzuknöpfen und darunter kam die purpurgoldene der Schwarzmagier zum Vorschein.
„Nie um eine Ausrede verlegen, Meister Maxwell.“
Die Spinnenkreatur neigte leicht das Haupt unter der Kapuze.
„Folgt mir, ihr wollt nicht zufällig ein Opfer dieser Nacht werden.“
Noch bevor die beiden das Dorf endgültig verlassen hatten, konnte man die Geräusche des Angriffs hören, berstende Türen und Fensterläden, die Schreie von Frauen und Kindern, das Klirren von hastig gezogenen Waffen. Dieses Dorf würde fallen und die Brut weiter vergrößern.

Es hat erneut begonnen…